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Archiv-Artikel

Angst vor Racheakten schiitischer Gruppen

Nach dem Anschlag auf schiitische Gläubige in Quetta steht Pakistan vor einer neuen Eskalation religiöser Gewalt. Der Staat hat die radikalen sunnitischen Gruppen nicht unter Kontrolle, die er gefördert und für seine Zwecke genutzt hat

DELHI taz ■ Pakistan wappnet sich gegen einen neuen Ausbruch religiöser Gewalt. Das Massaker unter schiitischen Gläubigen bei der Ashura-Prozession am vergangenen Dienstag in der südwestpakistanischen Stadt Quetta könnte zu gewalttätigen Reaktionen von Schiiten-Milizen führen. Die Herkunft der drei Attentäter ist zwar nicht bekannt, doch deutet die Geschichte der letzten fünfzehn Jahre auf sunnitische Extremisten, welche die Schiiten als Ungläubige betrachten und deren religiöse Praktiken als Blasphemie. Agenturen zitierten zudem Polizeisprecher, wonach die sichergestellten Waffen auf Täter im Umfeld der Untergrundorganisation Lashkar-e-Jhangvi deuten, einer extremen sunnitischen Miliz.

Die Regierung verstärkte inzwischen die Bewachung von Moscheen und religiösen Schulen in allen größeren Städten des Landes. Präsident Musharraf und Premierminister Jamali riefen die Bevölkerung zu Ruhe und Frieden auf und schworen, die Urheber mit allen Mitteln zur Strecke zu bringen.

Erste Anzeichen einer Gewalteskalation hatten sich bereits am Dienstag bemerkbar gemacht. Nach dem Attentat, bei dem bisher 47 Menschen starben und über 150 verletzt wurden, kam es in sunnitischen Vierteln Quettas zu Ausschreitungen, bei denen Läden, Autos und zwei Wohngebäude in Brand gesteckt wurden. Auch eine Fernsehstation wurde eingeäschert, nachdem Gerüchte in Umlauf gekommen waren, dass sich der Sender über die schiitische Praxis der Selbstgeißelung lustig gemacht habe.

Die Schiiten bilden eine Minderheit von zwanzig Prozent in der von Sunnis beherrschten pakistanischen Gesellschaft. Mit der sunnitischen religiösen Radikalisierung der pakistanischen Politik unter Zia al-Haq hat sich in der Minderheit ein Gefühl es Bedrohtseins breit gemacht, das auch zur Gründung schwer bewaffneter Milizen führte.

Die Regierung hat sowohl diese wie sunnitische Femegruppen verboten. Doch das Attentat vom Dienstag hat ein weiteres Mal gezeigt, dass der Staat Mühe hat, den radikalen Untergrund unter Kontrolle zu bringen, nachdem er ihn während Jahrzehnten für seine Zwecke gefördert und benutzt hat. Das jüngste Attentat ereignete sich trotz umfangreicher Sicherheitsmaßnahmen. Diese drängen sich gerade bei diesem Fest auf, das an den historischen Bruch zwischen Sunniten und Schiiten erinnert. Bereits am Samstag zuvor hatte sich ein Attentäter in einer schiitischen Moschee in Rawalpindi in die Luft gesprengt. In Quetta war zudem im letzten Juli ein Attentat auf eine schiitische Moschee verübt worden, bei dem 40 Menschen ums Leben kamen.

Die Polarisierung in Quetta, der Hauptstadt einer weitgehend tribalen Provinz, ist dennoch neueren Datums. Bereits beim Attentat im Juli kam es zu Spekulationen, wonach dies auf die veränderte Zusammensetzung der Bevölkerung zurückzuführen sei. Nach 2001 haben sich in dieser Grenzstadt zu Afghanistan zahlreiche Taliban niedergelassen. Zwischen ihnen und sunnitischen Organisationen bestehen über die radikalen Islamschulen eine enge Verbindung. Der im letzten Oktober ermordete Sunniten-Führer Maulana Azam Tariq pflegte Beziehungen mit den Taliban, und er war mit den islamisch-sunnitischen Parteien liiert, die heute in Quetta an der Regierung sind. Diesen wird nun vorgeworfen, nicht genug für die Sicherheit der schiitischen Minderheit getan zu haben. Auch eine Verbindung zu al-Qaida lässt sich nicht ausschließen, obwohl sie vom pakistanischen Informationsminister Sheikh Rashid zurückgewiesen wurde. So hatte sich bei einem der Attentäter vom letzten Juli herausgestellt, dass er mit Ramzi Youssef verwandt war, einem der Fadenzieher des ersten Attentats auf das World Trade Center in New York. BERNARD IMHASLY