„Das Frauenprogramm gefällt meinem Mann gut“

INTERVIEW BARBARA OERTEL

taz: Frau Präsidentin, Sie werden oft als Eiserne Lady des Baltikums bezeichnet. Ihre Biografin Ausma Cimdina vergleicht Sie sogar mit Jeanne d’ Arc. Hat diese Etikettierung damit zu tun, dass Sie eine der ganz wenigen weiblichen Staatspräsidentinnen sind?

Vaira Vike-Freiberga: Schriftsteller und Journalisten haben nun einmal das Bedürfnis, jemanden mit Etiketten zu versehen. Das machen sie auch bei männlichen Staatpräsidenten. Bei Frauen werden diese Etiketten allerdings in anderen Bereichen vergeben. Ich kenne feministische Studien aus Nordamerika, die belegen, dass Frauen, die für höhere Posten kandidieren, mit Adjektiven, die ihr Äußeres betreffen, beschrieben werden. Ich persönlich kann diese Tendenz aber nicht feststellen.

Hat die Tatsache, dass Lettland ein weibliches Staatsoberhaupt hat, Einfluss auf die Wahrnehmung Ihres Landes im Ausland?

Ich glaube ja. Es gibt viele alte Demokratien, in denen sich die Leute auch heute kaum vorstellen können, eine Frau als Präsidentin zu haben. Lettland ist daher ein Beispiel für eine progressive, moderne Demokratie. Die ist es seit der Gründung im Jahr 1918. Denn zu diesem Zeitpunkt erhielten die Frauen automatisch und gleichberechtigt mit den Männern das Wahlrecht.

Häufig sind Sie bei Gipfeltreffen die einzige Frau. Wie fühlen Sie sich denn so in einem Männerclub? Und wie gehen die Männer damit um?

Ich fühle mich sehr gut. Ich denke über Menschen nicht in erster Linie in Geschlechterkategorien nach. Wie es den Männern damit geht? Die Menschen verhalten sich oft in einer Art und Weise, wie man es von ihnen erwartet. Das ist eines der grundlegenden Gesetze der Psychologie. Wenn also das Geschlecht für mich keine besonders wichtige Sache ist, dann ist es das für die anderen auch nicht.

Wie findet Ihr Mann das Unterhaltungsprogramm für die First Ladys bei Gipfeltreffen?

Nur, wenn bei Gipfeltreffen eine Begleitung vorgesehen ist, kommt mein Mann mit. Er hat aber auch mehrere öffentliche Funktionen. So ist er Vorsitzender des lettischen Komitees der Unesco. Manchmal, wenn ich von einem professionellen Team begleitet werde, ist er in einer seiner Funktionen dabei. Das Frauenprogramm gefällt ihm gut, vor allem das Kulturprogramm. Er fühlt sich sehr wohl. Und überhaupt: Bei einem Besuch in Portugal war mein Mann nicht allein. Die finnische Präsidentin wurde auch von ihrem Mann begleitet.

Welches sind Ihrer Meinung nach die drängendsten Probleme von Frauen in Lettland?

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand ein demografisches Ungleichgewicht, weil viele Männer gefallen waren. Das haben wir bis heute nicht ausgleichen können. Dieser Umstand hat nicht nur demografische, sondern auch soziale Auswirkungen auf die Mentalität der Nation. Die Sterblichkeitsrate Neugeborener ist bei uns sehr hoch, wir brauchen massive Verbesserungen in der pränatalen Diagnostik. Die derzeitige Situation ist ein Erbe aus der Sowjetzeit. Zwar sind schon Versuche zur Modernisierung gemacht worden, die Kosten sind jedoch so hoch, dass das Land noch nicht in der Lage war, eine umfassende Erneuerung durchzuführen. Das ist eine der Prioritäten in den kommenden Jahren.

Im Mai wird Lettland der Europäischen Union beitreten. Worin sehen Sie für Ihr Land die größten Chancen, worin die größten Risiken?

In beiden Fällen geht es um die Wirtschaft. Chancen sehe ich in einem Impuls für unsere Entwicklung. Wir bekommen Geld aus Brüssel, das uns erlaubt, unsere Infrastruktur auszubauen und den Reformprozess zu beschleunigen. Ein Risiko sehe ich für unsere Arbeitsplätze. Zwar ist die Produktion hier noch billiger als in den westlichen Staaten, die Standards genügen jedoch allenfalls den Ansprüchen der einheimischen Konsumenten. Wenn unsere Betriebe neue Standards übernehmen müssen, könnte das mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einhergehen.

Sie haben sich als Präsidentin stark für eine Integration der russischen Minderheit eingesetzt. Der Einbürgerungsprozess kommt nur langsam voran, Beobachter sprechen von zwei Parallelgesellschaften.

Die Einbürgerung ist ein Problem. So bemühen sich junge russische Männer nicht um die Staatsbürgerschaft, weil sie keinen Wehrdienst leisten wollen. Ein anderer Fall sind Kinder, die nach 1991 geboren sind. Sie können Staatsbürger werden, wenn ihre Eltern sie registrieren lassen. Doch viele Eltern tun das nicht. Mit dieser Gruppe haben wir ein ernstes Problem. Diese Menschen sind loyal und emotional überzeugte Sowjetbürger, die nicht begreifen können, dass das jetzt alles Geschichte ist. Sie sind so mit der Sowjetunion verbunden, dass sie es nicht schaffen, sich den Gegebenheiten anzupassen.

Die Proteste gegen das Schulgesetz, das Lettisch als Unterrichtssprache auch in russischen Schulen vorsieht, gehen weiter. Sind Ihre Vermittlungsbemühungen fehlgeschlagen?

Nein, es gibt Anlass zur Hoffnung. So sinkt die Anzahl von Personen, die nur Russisch verstehen und sprechen, von Jahr zu Jahr. Gerade denjenigen, die nach der Unabhängigkeit Lettlands geboren wurden und nur die russische Sprache beherrschen, muss klargemacht werden, dass sie Lettisch lernen müssen. Sonst können sie bestimmte Berufe nicht ergreifen und werden aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Es gibt Parteien, die diesen Streit ausnutzen und vorgeben, für die russische Minderheit einzutreten. Sie stellen diese Bildungsreform als etwas dar, das den Kindern gewaltsam aufgezwungen wird. Doch das ist unsinnig. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass je früher jemand eine Fremdsprache lernt, desto leichter hat er es.

Moskau benutzt die russische Minderheit in Lettland ja gern als Druckmittel. Wie werden sich die Beziehungen zwischen Lettland und der gelenkten Demokratie à la Putin entwickeln?

Viele hatten gehofft, dass die Spannungen nach den Duma-Wahlen abnehmen würden. Das ist nicht der Fall. Wenn der Europarat die Lage der Menschenrechte in Tschetschenien kritisiert, hält Moskau mit dem Verweis auf die Situation der russischen Minderheit in Lettland dagegen. Dennoch hoffe ich auf eine Verbesserung der Beziehungen.

In welcher Sprache sprechen Sie mit dem russischen Präsidenten?

Im direkten Gespräch sprechen wir Deutsch. Sonst gibt es einen Übersetzer. Ich lerne zwar Russisch, aber nicht, um Gespräche auf diplomatischer Ebene zu führen. Dafür ist das Leben zu kurz und ich schon zu alt.