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Archiv-Artikel

editorial Europas neues Kleid

Vor einer Europafahne tanzt die polnische Primaballerina Katarzyna Chmielewska. Sie tanzt in einer Straßenbahn von Gdańsk. Die Situation ist inszeniert, die Botschaft real. Zum Ausdruck kommen soll: Polens Beitritt in die EU – das ist Alltag und Festtag zugleich. Fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist es nun endlich so weit: Europa wird wiedervereinigt, zehn neue Staaten mit 75 Millionen Menschen treten am 1. Mai der EU bei. Und: Die Mehrheit dieser neuen EU-BürgerInnen sind Frauen.

Deshalb widmet die taz ihr diesjähriges Dossier zum Internationalen Frauentag den Osteuropäerinnen. Unsere KorrespondentInnen besuchten 30-jährige Frauen, die fünfzehn Jahre ihres Lebens im Sozialismus und fünfzehn Jahre im Kapitalismus verbracht haben. Sie sprachen mit der lettischen Staatspräsidentin, verfolgten die Karriere einer ungarischen Bankerin, trafen eine 75-jährige Nonne in Bratislava. Und sie fragten danach, wie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Frauen in Osteuropa heute ist.

Die Ergebnisse dieser Recherche sind ernüchternd. Frauen in den Beitrittsstaaten erhalten bis zu 35 Prozent weniger Lohn als Männer, obwohl die Gleichstellungsrichtlinien der EU längst umgesetzt sind. Ihr Anteil an hohen politischen Funktionen ist seit der Wende deutlich zurückgegegangen. Sexismus wird nicht als gesellschaftliches Problem wahrgenommen. Andererseits waren die Chancen zur Realisierung der eigenen Träume noch nie so groß wie heute. Ganz bewusst entscheiden sich gerade junge Osteuropäerinnen für die drei großen K: Kinder, Küche – und Karriere.

Frauen aus dem Westen fällt es immer noch schwer zu verstehen, warum Osteuropäerinnen nichts von Feminismus hören wollen. Warum sie sich trotz ihrer Dreifachbelastung durchaus für emanzipiert halten. Warum sie sich ihren Männern oft sogar überlegen fühlen. So werden die neuen Frauen aus dem Osten auch das alte Europa zum Tanzen bringen. SABINE HERRE