: Schüler sollen wieder lernen, auf einem Bein zu hüpfen
Auch im Schulsport liegt hier zu Lande so manches im Argen. Eine Studie soll dies nun bestätigen – und einen sportlichen Pisa-Schock auslösen
BERLIN taz ■ Schulsport steckt in der Krise. Diesen Satz würden viele Bildungs- und Sportpolitiker ohne großes Zögern unterschreiben. Mit Recht: Mehr als 10 Prozent aller Schulkinder in Deutschland sind übergewichtig, immer mehr von ihnen können nicht auf einem Bein hüpfen oder auch nur rückwärts laufen. Dafür wird unter anderem der Sportunterricht verantwortlich gemacht. Doch genaue Erkenntnisse über die Qualität des Schulsports fehlen. Und so werden die Sportfunktionäre, die Mängel anprangern, von den Kultusministern der Länder oftmals nicht einmal richtig angehört. Die Länder haben sich jedenfalls lange Zeit gegen eine wissenschaftliche Evaluierung des Sportunterrichts gesperrt und regelrecht gemauert. In diesem Jahr aber haben sie sich endlich überzeugen lassen. Der Deutsche Sportbund (DSB), der sich auch deswegen so stark für den Schulsport einsetzt, weil er in ihm die „sportliche Einstiegsdroge“ sieht, leistete dabei unermüdlich Lobbyarbeit. Mit Erfolg: Die „Untersuchung zur aktuellen Situation des Schulsports in Deutschland“ wird endlich vorbereitet.
Anlässlich einer Tagung des Projektbeirats dieser ersten großen Schulsportuntersuchung in Berlin wurden nun die Ziele und Erwartungen des Sportbundes und der wissenschaftlichen Leitung erläutert. Und auch dabei geisterte ein Begriff durch den Raum, der nach wie vor beinahe jede bildungspolitische Diskussion in Deutschland bestimmt: Pisa. DSB-Präsident Manfred von Richthofen erhofft sich als Folge der Schulsportuntersuchung eine ähnlich aufgewühlte Öffentlichkeit. Der Pisa-Schock dient ihm da durchaus als Vorbild. Ein solcher ist als Folge der anstehenden Sport-Evaluierung freilich nicht zu erwarten, die Ergebnisse scheinen für die Sportfunktionäre bereits festzustehen. Letztendlich will man nur die wissenschaftliche Untermauerung der Annahme, dass in Deutschlands Schulsporthallen einiges im Argen liegt, um in der Diskussion mit den Kultusbehörden eine unanfechtbarere Argumentationshilfe zu haben. Natürlich weiß man auch beim DSB, dass Pisa dafür gesorgt hat, dass die Hauptaufmerksamkeit der Bildungspolitiker derzeit den kognitiven Fächern gilt. Mit der Schulsportstudie soll nun das Gewicht wieder ein wenig in Richtung motorische Förderung der Schüler verschoben werden.
Im Mittelpunkt der Evaluation soll die Untersuchung der verschiedenen Rahmenbedingungen des Schulsports stehen. Die Qualifikation der Lehrer, deren Motivation und Belastung sowie die Ausstattung der Schulen mit Sportstätten und -geräten sollen ebenso beleuchtet werden wie eher weiche Kriterien, wie zum Beispiel das Klima für den Sport, das in der Schule und in den Klassen herrscht. Die Rolle, die Eltern bei der körperlichen Erziehung der Kinder spielen, soll in Zusammenhang mit deren sozialer und ethnischer Herkunft gesetzt werden. In Fragebögen sollen sich die Schüler zu der Rolle, die der Sport in ihrem Leben spielt, äußern.
Sportwissenschaftler von sechs Universitäten sind mit der Durchführung der Erhebung betraut. Koordiniert wird die Untersuchung von Wolf-Dietrich Brettschneider von der Universität Paderborn. Der wies auch darauf hin, dass es neben den für den Sportbund interessanten Schülergruppen, die sich eventuell einmal für den Sport im Verein begeistern lassen, auch um die Motivation der übergewichtigen Kinder für Bewegung durch den Sportunterricht geht. Der Vereins- und Leistungssportgedanke spiele nicht unbedingt die Hauptrolle.
Bei der Finanzierung der Studie ist das schon anders. Hier kommt sogar die deutsche Olympiabewerbung für 2012 ins Spiel. Denn bewerben konnten sich nur Städte, in deren Ländern nachweislich auch etwas für den Schulsport unternommen wird. Die Hälfte des 250.000-Euro-Etats für die Studie wurde durch die fünf Bewerberstädte als Folge dieser Auflage aufgebracht. Die andere Hälfte kommt vom DSB. Ende 2004 sollen die ersten Ergebnisse vorliegen. Dann will der DSB gehörigen Druck auf die Kultusbehörden ausüben, vorausgesetzt, die Ergebnisse fallen so schlecht aus wie erwartet.
ANDREAS RÜTTENAUER