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Archiv-Artikel

„Klinisch rein gibt es nicht“

Antisemitismusforscher Wolfgang Benz über die Debatte um Peter Eisenmans „Zahnarzt-Anekdote“

INTERVIEW ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Hat Peter Eisenman einen schlechten Witz gemacht oder einen guten Witz, der schlecht aufgenommen wurde?

Wolfgang Benz: Eisenman fühlt wahrscheinlich eine missionarische Aufgabe, nämlich den Deutschen Humor beizubringen. Er leitete sein Statement ja auch mit den Worten ein: To introduce some humour in this debate. Nach der Zahnarzt-Anekdote wollte er zur Tagesordnung übergehen. Mich wundert, dass diese geschmacklose Bemerkung, die den ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Alexander Brenner, tief traf, nun, im Abstand von Wochen, ihre Kreise zieht.

Brenner, die Mahnmalsinitiatorin Lea Rosh und der Berliner Bausenator Peter Strieder sollen empört die Sitzung verlassen haben.

Ja, aber erkennbar nicht aus Empörung, sondern um Herrn Brenner zu trösten oder ihm Zuspruch zu geben. Außer Brenner kamen sie auch alle wieder zur Sitzung zurück.

Die Szene hat ja eine Vorgeschichte. Hat die heftige Erregung über Eisenman damit zu tun, dass er sich kürzlich gegen den Willen einiger Kuratoriumsmitglieder im Streit um Degussa durchsetzte?

Selbstverständlich. Brenner war der Exponent derjenigen, die unter allen Umständen nicht mit Degussa weiterarbeiten wollten. Eisenman hatte sich aber als Pragmatiker für die Zusammenarbeit mit Degussa stark gemacht. Das ist die Vorgeschichte. Umso unverständlicher ist es mir, dass jetzt, Wochen später, dies zur großen Nachricht in den Medien erhoben wird.

Brenner will die mittlerweile erfolgte Entschuldigung Eisenmans nicht anerkennen. Was steckt dahinter?

Neben persönlichen Empfindlichkeiten wird uns damit auch wieder einmal die ganze Problematik dieses Unternehmens „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ deutlich gemacht. Wir können das Mahmal nicht gegen die berechtigte Kränkbarkeit auf jüdischer Seite bauen. Wenn man den Prozess als mühsames Miteinanderringen und schließlich der Annäherung versteht, dann hat das sicherlich auch sein Gutes. Wenn Empfindlichkeiten aber genährt werden, nur um die Schwierigkeit eines solchen Unterfangens deutlich zu machen, dann kann es auch kontraproduktiv werden.

Ist dieser Eklat nicht auch die Illustration einer kulturellen Differenz zwischen amerikanischen und deutschen Juden im Umgang mit der Geschichte?

Ich möchte die kulturellen Unterschiede nicht überbetonen. Eisenman ist ein amerikanischer Jude, dessen Familie nicht unmittelbar vom Holocaust betroffen ist. Brenner andererseits steht für das osteuropäische Judentum mit dieser ungeheuren Leidensgeschichte. Als Vermittler in dem Degussa-Streit ist der Leiter des Jüdischen Museums, Michael Blumenthal, aufgetreten. Ein amerikanischer Jude deutscher Abstammung. In einer früheren Kuratoriumssitzung hielt er eine sehr bewegende Rede darüber, dass man trotz der Vergangenheit, die nicht allein die Firma Degussa habe, weiterarbeiten muss. Blumenthal sagte deutlich, dass, wenn man sich entschließt, dieses Mahmal zu errichten, man sich auch dar$über im Klaren sein muss, wie kontaminiert das Umfeld ist. Das klinisch reine Denkmal kann es nicht geben.

Ist am Ende also alles nur eine Frage des persönlichen Stils von Peter Eisenman?

Ja, und dafür hat er sich ja nun auch entschuldigt. Höher hängen würde ich das jetzt nicht.

Dennoch gab es gestern schon Stimmen aus der Jüdischen Gemeinde, das Mahnmal sei ein „Horror“. Bedeutet dies, es kommt eine erneute Grundsatzdebatte?

Ganz offensichtlich kommt bei dieser Gelegenheit der Zweifel wieder hoch, ob man das Richtige macht. Der Gesetzgeber hat sich mit großer Mehrheit dafür entschieden, das Mahnmal zu bauen. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass wir Frieden mit den Gekränkten, den Beleidigten, den Nachkommen der Ermordeten haben wollen. Das soll man auch nicht leichtfertig immer wieder in Frage stellen.

Sie meinen, für Generalkritik ist es jetzt zu spät.

Das Für und Wider ist ein Jahrzehnt lang debattiert worden. Der Zentralrat der Juden und die Jüdische Gemeinde haben Sitze im Stiftungskuratorium eingenommen und damit dokumentiert, dass sie dieses Denkmal auch wollen.