: Bayrisches Atom-Ei ausgebrütet
Seit gestern ist klar: Umstrittener Reaktor Garching II geht in Betrieb. Der Genehmigung des bayrischen Umweltministeriums ging ein jahrelanger Streit voraus. Wegen seiner Menge an hoch angereichertem Uran gilt der Reaktor als besonders unsicher
von FRANK PAULI
Nach jahrelangem Tauziehen kann der umstrittene Atom-Forschungsreaktor FRM-II in Garching bei München in Betrieb gehen. Das bayerische Umweltministerium hat dafür die dritte und abschließende atomrechtliche Genehmigung erteilt. Damit seien die nukleare Inbetriebnahme und der Routinebetrieb des Reaktors gestattet, teilte die Behörde gestern mit.
Der Reaktor arbeitet mit hoch angereichertem Uran. Das hat weltweite Kritik ausgelöst, weil dieses HEU (highly enriched uranium) auch für den Bau von Uranbomben nötig ist. Die Anreicherung an Uran ist gut 3-mal so hoch wie beim Vorgänger des Reaktors, dem legendären „Atom-Ei“. Das hoch angereicherte Uran des FRM birgt indes nicht nur das Risiko, dass es weiterverarbeitet werden kann. Auch seine Sicherheit ist noch nicht erwiesen.
Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit: Auch der 1961 explodierte „SL 1“ mit Standort im US-Bundesstaat Idaho war mit über 90 Prozent hoch angereichertem Uran bestückt. SL 1 diente als militärischer Forschungsreaktor, der nebenher noch Strom für einige nahe gelegene Dienstgebäude produzierte. Als das Unglück damals geschah, befand der Reaktor sich im Zustand der so genannten Unterkritikalität, das heißt, die Brennstäbe waren eingefahren. Das Team sollte die Stäbe langsam ausfahren, um den Reaktor auf volle Leistung zu bringen. Dazu mussten die Stäbe manuell aus der Sicherungsverankerung gelöst und an Elektromotoren angeschlossen werden. Einer der Soldaten zog einen Stab jedoch zu brüsk und zu weit empor.
Eine schnell einsetzende Kettenreaktion führte zu einer Dampfexplosion. Durch den entstandenen Druck schoss die Wassersäule nach oben an den Reaktordeckel, womit der ganze schwere Reaktorbehälter aus seiner Verankerung gerissen und rund vier Meter nach oben geschleudert wurde. Es entwich radioaktiver Dampf.
Die freigesetzten Kräfte dieses gegenüber konventionellen AKWs 15-mal höher angereicherten Spaltsoffes waren enorm: Der entstandene Unfalldruck lag bei 700 Bar, was etwa 350-mal mehr ist, als was in unseren Wasserleitungen strömt.
„Das kann beim FRM nicht passieren“, beschwichtigt der Münchner Physikprofessor und FRM-Befürworter Winfried Petry. Gegen ein solches unbeabsichtigtes Anheben der Regelstäbe gebe es mehrfache Sicherheitsbarrieren. Petry muss indes einräumen, dass ein kleineres Restrisiko durch technisches Versagen der Stäbe gleichwohl verbleibt. Außerdem, so der Physiker, sei die Anreicherung gar nicht der entscheidende Auslöser solcher Leistungsexkursionen.
Eine Aussage, die von Karin Wurzbacher, Diplomphysikerin und Mitarbeiterin der Münchner Außenstelle des Darmstädter Ökoinstituts, vehement bestritten wird: „Maßgeblich ist die Leistungsdichte, und die hängt einerseits von der Verpackungsdichte des Urans, anderseits aber von dessen Anreicherung ab.“ Das US-Ereignis scheint dies zu bestätigen. Die 15 Kilo hoch angereichertes Uran beim SL 1 (gegenüber vorgesehenen 8 Kilo beim FRM) waren dort in Form von einzelnen Brennelementen locker gepackt.