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Archiv-Artikel

„Manche sind völlig verzweifelt“

Die Bremerin Ursula Schielke warnt vor Schönheitsoperationen: „Wer sich darauf einlässt, muss mit allem rechnen.“ 300 Frauen aus ganz Deutschland suchen jährlich bei ihr Rat. Meist geht es um Schadenersatz – ein schwieriges Kapitel

von EVA ROHDE

Seit fast zehn Jahren vertritt die Bremerin Ursula Schielke die Interessen von Frauen, die durch Brustimplantate Schäden erlitten haben. Als Gründerin der Selbsthilfegruppe „Frauen und Medizin“ (FuM) erhält sie im Jahr rund 300 Notrufe von Frauen aus ganz Deutschland. Die meisten suchen Rat nach missglückten Schönheitsoperationen. Fast die Hälfte der Anruferinnen klagt über Spannungsgefühle, Schmerzen, Verformungen, zahlreiche Nachoperationen und psychische Probleme.

Schielke begleitet derzeit rund 30 juristische Verfahren im Zusammenhang mit solchen Operationen. „Das Hauptproblem ist, dass Chirurgen nur über das Risiko ihrer Operation informieren – also nur über das, was sie selbst verantworten. Die wenigsten erklären das Produkt, für das sie ja auch nicht haften“, sagt sie. Die Frauen merken das erst, wenn sie alleine und mit Schmerzen da stehen. Erschwerend komme hinzu, dass viele Operationen in überregionalen Kliniken oder sogar im Ausland stattfinden. Die medizinische Nachsorge sowie regelmäßige Untersuchungen würden deshalb oft unterbleiben. Doch juristisch stecke der Karren oft vorher schon im Dreck.

Fehlerhafter Umgang mit Implantaten

„Hat eine Frau erst in die Operation eingewilligt und unterschrieben, Kenntnis von etwaigen Risiken zu haben, dann können Anwälte oft nur wenig ausrichten“, warnt Schielke. Denn auch Richter würden vielfach nicht unterscheiden zwischen der medizinischen Aufklärung über die Risiken einer Operation und der Aufklärung über Risiken, die ein eingepflanzter Fremdkörper mit sich bringen könne. Dabei beobachtet Schielke seit Jahren gravierende Mängel. „Nachweislich wurden sogar benutzte Implantate wieder eingepflanzt“, sagt sie. Der Nachweis aber, dass ein Arzt beim Implantieren gepfuscht habe, sei schwierig. „Welche Frau beobachtet in der Narkose schon, dass der Arzt das Implantat verbotenerweise auf das OP-Tuch gelegt hat?“, fragt sie ironisch. Derlei Fehlgriffe seien aber oft die Ursache von Folgeschäden.

„Wegen solcher Kapselfibrosen rufen mich viele Frauen an“, berichtet Schielke. „Manche sind völlig verzweifelt, die haben nicht mal das Geld, um sich das Implantat wenigstens wieder entfernen zu lassen.“ Krankenkassen zahlen solche Operationen nur, wenn für das Einsetzen eines Implantats eine medizinische Indikation vorlag, wie es der Brustaufbau nach einer Krebsoperation sein könnte. Die Bremerin kennt deshalb viele Fälle, in denen Frauen mit den Folgen vermeintlicher Schönheitsoperationen allein gelassen sind.

„Ich kann nur warnen: Wer sich auf solche Operationen einlässt, muss mit allem rechnen“, sagt Schielke deshalb. „Aber es ist wie beim Fliegen. Jeder weiß, ein Flugzeug kann abstürzen und niemand glaubt, dass ihm das passiert.“ Sie ist sicher, dass Ärzte über das Risiko eines solchen „Absturzes“ nicht deutlich genug aufklären. „Schon wenn man einer Frau sagen würde: Du zahlst zwar 5.000 Euro, aber niemand garantiert dir, dass du hinterher wirklich schöner aussiehst, es kann schief gehen und dann kostet jeder weitere Eingriff noch mal 5000 Euro“, würde manche Frau zurückschrecken. „Aber welcher Arzt sagt so was schon?“, fragt Schielke. „Und welche Patientin fragt, ob der Meister haftpflichtversichert ist?“

Mit dieser Frage spielt sie auf den tragischen Fall einer Bremerin an, die mittlerweile rund 20.000 Euro Schmerzensgeld für eine verpfuschte Brustoperation eingeklagt hat. Doch der wegen Körperverletzung in über 30 Fällen angeklagte Hamburger Chirurg, der zum Prozessauftakt Fehler eingestand, ist pleite. Ob die geschädigte Bremerin jemals Schadensersatz erhält, ist fraglich. „Bis jetzt hat sie ihren Anwalt alleine bezahlt“, berichtet Schielke.

Viele Opfer fordern deshalb schärfere Kontrollen und eine zentrale Meldestelle für Pfusch in der Schönheitschirurgie. Die bisherigen Maßnahmen reichten nicht aus. So war auch der angeklagte Hamburger Mediziner Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie; dass er nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebene Haftpflichtversicherung hatte, merkte lange niemand.

Und Beschwerden bei der Ärztekammer hatten erst Folgen, als die Opfer sich an die Öffentlichkeit wandten. „Wir müssen nicht nur die medizinischen, sondern auch die finanziellen Schäden tragen“, zieht das Bremer Opfer des Stümpers Bilanz.

„Meistens zahlen die Frauen drauf“, sagt Schielke. So konnte eine Bentheimerin zwar nachweisen, dass die Silikon-Brustimplantate zu einer schmerzhaften Bindegewebsverhärtung am ganzen Körper geführt hatten. Um gegen den US-Hersteller vorgehen zu können, schloss sich die Deutsche einer Massenklage an – doch am Ende deckte der Scheck des Implantat-Herstellers nicht einmal die Kosten des Anwalts. Der erklärte, mehr sei nicht zu holen gewesen, weil dem Hersteller sonst Konkurs gedroht hätte – und die Opfer dann keine Entschädigung bekommen hätten.

Es gibt noch immer keine Langzeitstudie

„Die Frauen werden nicht genug geschützt“, folgert Schielke aus ihrer jahrelangen Arbeit. Bis heute gebe es keine Langzeitstudie über die Wirkung von Implantaten. „Stattdessen werden Experimente am lebenden Objekt durchgeführt“, zitiert sie gern den Rotenburger Experten Hans Rudolph. Der Chirurg, zugleich Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie, spricht in diesem Zusammenhang von einem „der größten Menschen-Experimente überhaupt“.

Er verfolgt seit Jahren, wie Produkte auf den deutschen Markt kommen und von dort wenig später sang- und klanglos wieder verschwinden. Und auch er bemängelt insbesondere in der Schönheits-Chirurgie fehlende Qualitätsmaßstäbe. Noch immer dürfe sich jeder Allgemeinmediziner „Schönheitschirurg“ nennen, auch wenn ihm die sechsjährige Ausbildung zum plastischen Chirurgen fehle.

Als einen kleinen Schritt in die richtige Richtung begrüßt Ursula Schielke jetzt die jüngsten Richtlinien des Europäischen Parlaments, wonach die EU-Staaten künftig für stärkere Aufklärung und Kontrollen sorgen sollen. Aber genug sei das nicht. „Eigentlich müsste das wie im Lebensmittelbereich laufen“, fordert sie. Unangemeldete Kontrolleure müssten in Kliniken beispielsweise nach gelagerten Implantaten fragen, um Verfallsdaten und sachgerechte Lagerung sowie Operationsstandards zu prüfen. „Davon sind wir aber noch weit entfernt.“