: Schwund der Verantwortlichen
Das „Special Court for Sierra Leone“ ist das dritte internationale Gericht für Kriegsverbrecher. Doch die Hauptschuldigen werden nicht angeklagt
VON DOMINIC JOHNSON
Das Geld kommt aus den USA, die Stühle aus China und das Design aus dem Gastland. Heute wird in Freetown, Sierra Leones Hauptstadt, das Gebäude des Sondergerichts eröffnet, das die Kriegsverbrecher in einem der brutalsten Bürgerkriege der Welt aburteilen soll.
Zehntausende Tote forderte Sierra Leones Krieg 1991–2000. Zeitweise waren die Hälfte der vier Millionen Einwohner vertrieben. Milizen und Rebellen begingen außergewöhnlich brutale Verbrechen bis zum Abhacken von Gliedmaßen und Rekrutieren kleiner Kinder. Das „Special Court for Sierra Leone“ tritt nun neben die UN-Völkermordtribunale für Ruanda und Exjugoslawien als drittes internationales Gericht für Kriegsverbrecherprozesse – eine Aufgabe, die in Zukunft dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag obliegen soll.
Anders als die beiden UN-Tribunale ist das Gericht für Sierra Leone eine Mischung aus nationalem Gericht und internationalem Tribunal. Es tagt im betroffenen Land selbst, ist aber juristisch exterritorial. Seine Einrichtung, im Prinzip schon 1996 von der UNO beschlossen, war Ergebnis eines Vertrages zwischen der Regierung Sierra Leones und der UNO vom Januar 2002.
Drei der acht Richter kommen aus Sierra Leone und wurden von der Regierung berufen, die anderen wurden von der UNO bestellt; der Chefankläger, David Crane, ist ein US-Amerikaner. Das Gericht arbeitet unter sierraleonischem Recht; dies aber wird sich in der Praxis nicht vom britischen Vorbild unterscheiden, nach dem bereits die UN-Tribunale arbeiten. Anders als diese soll es seine Arbeit innerhalb von drei Jahren abschließen.
Die Arbeit des „Special Court“ besteht in der Prozessführung gegen Verantwortliche für Kriegsverbrechen in Sierra Leone seit dem 30. November 1996 (siehe Kasten). Von 13 Angeklagten sind allerdings nur die 9 unwichtigsten übrig geblieben. Der prominenteste, Liberias Expräsident Charles Taylor, genießt faktische Immunität im nigerianischen Exil – das war der Preis dafür, dass er im August 2003 freiwillig die Macht in Liberia abgab. Taylor ist für UNO, USA und Großbritannien die Schlüsselfigur der Kette von Bürgerkriegen, die sich von Sierra Leone über Liberia bis in die Elfenbeinküste zieht und mit dem Entstehen eines transnationalen Netzwerks von Rohstoff- und Waffenschmuggel einhergeht. Die Anklage wirft ihm vor, Sierra Leones Bürgerkrieg in den 90er-Jahren durch Unterstützung der dortigen Rebellenbewegung RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) geschürt zu haben. Dass gegen Taylor Haftbefehl erhoben wurde, als letztes Jahr gerade Friedensgespräche zwischen ihm und liberianischen Rebellen beginnen sollten, schürte allerdings den Bürgerkrieg in Liberia nicht.
Taylor bekommt das Gericht in Freetown ebenso wenig zu sehen wie die wichtigsten Führer der RUF. Der historische Rebellenführer Foday Sankoh, im Jahr 2000 von britischen Truppen in Freetown verhaftet, starb letztes Jahr in Gewahrsam nach ersten Anhörungen vor dem Special Court. RUF-Militärchef Sam Bockarie sowie der kurzlebige sierraleonische Juntaführer Johnny Paul Koroma, der 1996/97 mit RUF-Unterstützung Sierra Leone beherrschte, starben 2003 unter ungeklärten Umständen in Liberia.
Die neun restlichen Angeklagten gehören nun zur zweiten Garde der sierraleonischen Kriegstreiber. Prominentester unter ihnen ist Sam Hinga Norman, einst Innenminister und Chef der regierungstreuen Miliz „Kamajor“, die nicht weniger brutal vorging als die RUF-Rebellen. Daneben gibt es zwei weitere Kamajor-Führer, zwei RUF-Führungsmitglieder und vier Angehörige von Koromas Junta. Sie alle sind im Verlauf der letzten zwei Jahre verhaftet und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt worden.
Früher befand sich anstelle des „Special Court“ ein Gefängnis. Heute ist dies der allererste Ort, an dem die Verbrechen der Bürgerkriege Westafrikas geahndet werden können. Die Verfahren können jetzt beginnen.