DIE ACHSE DER FOLKSÄNGERINNEN VON JULIAN WEBER
Gefühlvoll auf Nummer sicher

Hierzulande ist Vonda Shepard trotz weltweit zwölf Millionen verkaufter Alben kaum als Singer-Songwriterin bekannt. Viele kennen sie aus der Anwaltsserie „Ally McBeal“, wo sie am Piano in der „Martini Bar“ der Hauptfigur mit ihren Eigenkompositionen und Coverversionen aus der Seele sprach.

Soul ist auch ein Schlüsselwort für ihre eigenen Songs. Shepards Stimme ist so ausdrucksstark, wie die von Candi Staton oder Irma Thomas, den Stars des Southern Soul. Anders als ihre Vorbilder schöpft sie ihre textlichen Stärken nicht aus dem Leidensparcours sadomasochistischer Liebesbeziehungen. Sie gibt die unabhängige und hart arbeitende Frau, die klar ihre Rechte einfordert, auch in Liebesdingen. „Listen“ reimt sich auf „intuition“, „dirt“ auf „hurt“. „I’m ecstatical, you’re beautiful and radical“, singt sie in dem Song „Ecstatic“.

Radikal schön ist das Klangbild ihres neuen Albums „From the Sun“ leider nicht. Was ihr Ehemann, der sonst so geschmackvoll agierende Musiker und Produzent Mitchell Froom, entworfen hat, entspricht mit übermächtigem Schlagzeug oder zu Tode dynamisierten E-Gitarren leider ganz dem Nummer-sicher-Schema oberer Chartsränge. Die Uptempo-Songs klingen dadurch unnötig fett, bei den Balladen ist dagegen viel zu wenig Schmalz auf dem Brot.

Vonda Shepard: „From the Sun“ (Panshot Records)

Grenzüberwindend unterm Country-Mond

Aufgewachsen ist Tish Hinojosa im texanischen San Antonio als eines von 13 Kindern einer mexikanischen Einwandererfamilie. Neben den mexikanischen Boleros spielte Countrymusik eine Rolle in ihrem Elternhaus: Im Fernsehen lief die Show von Tennessee Ernie Ford. Er war auch ausschlaggebend dafür, dass Hinojosa Ende der Siebzigerjahre nach Nashville zog.

Zu Beginn ihrer Karriere verdingte sie sich dort bei einem Musikverlag als anonyme Songschreiberin. Ihre Künste wurden zunächst nur für Demotapes in Anspruch genommen. Erst 1987 wurde Tish Hinojosa dann auch als Komponistin wahrgenommen. So nahm Linda Ronstadt ihren Song „Donde Voy“ auf.

Inzwischen hat Tish Hinojosa eine treue Fangemeinde.

„Our Little Planet“, ihr Album Nummer 15, ist klassisches „border radio“, das in verschiedene Richtungen ausstrahlt. Für den morbiden Swing der mexikanischen Folkmusik sorgen Quetschkommode und Mandoline. Eine Fiedel und die gedehnten Akkorde der Pedal-Steel-Gitarre heulen zum Country-Mond. Hinojosa singt abwechselnd auf Spanisch und Englisch. Große Gefühle werden auf „Our Little Planet“ mit Showbiz-Leichtigkeit vorgeführt. Tish Hinojosa ist nicht nur sattelfest, was den Kanon der Americana betrifft, sie reichert ihn mit ihrer eigenen Texmex-Handschrift an.

Tish Hinojosa: „Our Little Planet“ (Continental Song/in-akustik)

Traumversunken im Minimalismus

„We made this ourselves“, das Debütalbum von Essie Jain, tauchte im Frühjahr aus dem Nichts auf. Jain trug derangierte Homerecording-Folksongs mit Piano und Cello vor und sang dazu Hypnotisches mit tremolierender Stimme. Nick Drake und Patti Smith schienen Einflüsse zu sein, vor denen die Künstlerin nicht ehrfürchtig einknickte.

Wenig mehr war herauszukriegen, als dass Essie Jain, gebürtige Londonerin, in New York lebt und Anbindung an eine junge Szene um das Duo White Magic hat. Der Esoterik von Freakfolk hat man in diesem Kreis längst abgeschworen. Dem Achtungserfolg ihres Debüts schickt Essie Jain mit „The Inbetween“ jetzt ein ausgeklügeltes zweites Album hinterher. Was vorher fragmentarisch klang, ist nun in einem Studio kammermusikalisch in Szene gesetzt. Essie Jains Stimme ist präsenter, obwohl sie traumversunkener klingt als auf dem Debüt. Der minimalistische Charakter ihrer Musik ist im Mix beibehalten, in der Genauigkeit der verschiedenen Spuren bekommt die Traurigkeit einen kühlen Anstrich.

„Das Zwischenreich ist ein Raum, in dem die einzelnen Elemente noch nicht ihre endgültige Form angenommen haben“, erklärt sie den Albumtitel. „Man ist zwischen zwei Welten gefangen. Aber das ist sehr schön, weil es möglich ist, den Lichtstrahl zu erahnen, in dessen Richtung es weitergeht.“

Essie Jain: „The Inbetween“ (The Leaf Label/Indigo)