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Archiv-Artikel

Das Böse, das sich vergisst

Graciano Rocchigiani beeindruckt in seinem vermutlich letzten Kampf mit stabiler Doppeldeckung, vernachlässigt aber den Angriff und verliert deutlich gegen den zwölf Jahre jüngeren Thomas Ulrich

aus Stuttgart ALBERT HEFELE

So sieht das Böse aus. Groß, angegrauter Bürstenschnitt, ziemlich zerknautscht, zernarbt und zerschrammt. Das Böse erinnert an einen dieser bekümmerten chinesischen Faltenhunde. Das Böse sagt in der Pressekonferen ungehörige Worte, wie: „Du Sau!“ (zu Gegner Thomas Ulrich) und: „Scheiße, ick hab valorn.“ Es war aber ausnahmsweise überhaupt nicht ernst und erst recht nicht böse gemeint. Überhaupt war das Böse nach dem 12-Runden-Kampf und der Niederlage nach Punkten sehr entspannt.

Das Böse hatte ein Glas Pilsner Bier dabei und sah teilweise freundlich in die Runde; es schien wirklich froh zu sein, dass der Kampf, der eine Stunde zuvor in der gut besetzten Stuttgarter Martin-Schleyer-Halle zu Ende gegangen war, sein letzter Profiboxkampf gewesen sein sollte. Keine Wehmut und nur ganz wenig Verbitterung wegen all der Fehlurteile und Beschisse, die das Böse alias Graciano Rocchigiani hatte erdulden müssen: „Ich werde viel Nerven sparen.“ Promoter Kohl parierte prompt: „Wir auch“, und alles lachte, die Stimmung war freundlich und irgendwie ein wenig sentimental. Wie es eben so ist bei der Verabschiedung eines verdienten Kollegen.

Die unguten Zeiten und Seiten des Abschiednehmenden werden gerne in den Hintergrund geschoben und es bleibt eine mit sehr viel Weichzeichner gedämpfte Gruppenaufnahme. Denn dass Rocchigiani sehr ungut und lästig sein kann, darüber besteht bei allen, die ihn kennen, kein Zweifel. Raufereien, Fahren ohne Führerschein, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, öffentliche Beschimpfungen eines Promoters – Rocchigiani hat immer mal wieder Ärger gemacht. Natürlich, weil er nicht anders kann. Sozialpädagogisch formuliert: Rocky ist einer, der seine Erfolge und die Stabilität seiner Lebenssituation ständig überprüfen muss. Weil er nichts und niemand – vielleicht mit Ausnahme seines Bruders Ralf – wirklich traut. Rocchigiani muss sich schon wehren, bevor ihn jemand bedroht. Er ist ein Loser. Mag er tonnenweise Pokale im Schrank und Millionen auf dem Konto haben. Gratze kann nicht gewinnen. Und das wiederum macht ihn zur Kultfigur. Zum einen für jene, denen es genauso geht – den Permanentrauchern mit den schlecht geschnittenen Haaren und den unbeholfen gemachten Tätowierungen, die sich sogar im Boxkampfmilieu zu laut schallend verständigen. Und den anderen, die genau das Gegenteil von Losern sind. Den Gelackten und über die Maßen Gepflegten mit den duftenden, immer extra unbeeindruckten Frauen an ihrer Seite. Die sich trotzdem um eine Karte am Ring balgen.

Also: Rocky ist Kult, aber nur ein bisschen. Nur solange er für Schlagzeilen in irgendeiner Form sorgt. Wenn er aufhört, wird er sofort vergessen sein. Wie dieser Kampf gegen Thomas Ulrich. Der ein guter Kampf war. Zwei gut vorbereitete, austrainierte Kämpfer, die sich respektierten. Sauber, präzise, recht gutes Boxen. Aber, wie es Michael Schumachers Manager Willi Weber formulierte, ein Kampf, der „keine Highlights“ hatte. Er meinte damit spektakuläre Eskalationen; schließlich war das Böse im Ring. Es tat sich aber nichts, in dieser Hinsicht. Denn das Gute in Gestalt des gut aussehenden und rundum gepflegten Thomas Ulrich war zu stark, zu schnell, zu jung. Vom schlauen Fritz Sdunek zu gut vorbereitet auf Rocky, den Rechtsausleger. Der sich wohl ausgerechnet hatte, dass ein beherzter Punch aus der rockytypischen Doppeldeckung, mitten in die jugendliche Euphorie des guten Thomas Ulrich, die Chance sein könnte. Damit hatte er sich aber verrechnet, denn Ulrich steckte die wenigen Treffer gut weg und brachte seine Punktebilanz jedes Mal per Konter postwendend wieder in Ordnung. Gute Arbeit, solide Qualität. Trotzdem wird auch Thomas Ulrich letztendlich keine Spuren hinterlassen. Dazu ist er wiederum deutlich zu wenig böse.

Man stelle sich vor: Der Mann hat einen Zwerghasen als Haustier!