: „Mist kann man entsorgen“, sagt Peter Glotz
Bundeskanzler Gerhard Schröder boykottiert „Bild“ und „Stern“. Nutzen wird ihm das nichts – im Gegenteil
taz: Herr Glotz, ist die Boykott-Politik des Kanzlers gegen Bild in Ordnung?
Peter Glotz: Nein, das ist ein Fehler. Ein Fehler, den die SPD allerdings immer wieder macht. Dass ist bestimmt der dritte oder vierte Boykott der Bild-Zeitung, den ich erlebe. Ein Schriftsteller wie Günter Grass hat natürlich das Recht zu sagen, ich publiziere dort niemals. Aber eine große politische Partei oder gar eine Regierung kann die größte Zeitung des Landes nicht einfach links liegen lassen. Solche Boykotte sind Formen kommunikativer Verweigerung. Und sie schaden dem, der sich verweigert.
Warum macht ausgerechnet der „Medienkanzler“ Gerhard Schröder das dann?
Medienkanzler heißt, dass da jemand gut mit den Medien, vor allem mit dem Fernsehen, umgehen und seine Botschaften rüberbringen kann. Dazu ist Gerhard Schröder sicherlich nach wie vor in der Lage. Aber offensichtlich ist er – oder aber sein Umfeld – so über manche ungerechten Kommentare und Kampagnen beleidigt, dass sie – wie der Regierungssprecher Béla Anda – falsch reagieren.
Also gibt es eine Bild -Kampagne gegen Schröder?
Es gab da und dort schon kampagnenartige Züge. Aber ich habe schon viele unterschiedliche Phasen der Bild-Geschichte erlebt. Es war in den späten 60er- und frühen 70er-Jahren sehr viel schlimmer als heute. Und unter dem ehemaligen Bild-Chefredakteur Tiedje lief es sicherlich sehr viel offener. Aber man darf nie vergessen: Eine Boulevardzeitung kann nur Geschichten erzählen und niemals Presseerklärungen abdrucken. Dass verkennen Funktionäre der Public Relations gelegentlich.
Ist die Bild -Zeitung also der Sündenbock, weil das Blatt die schlechte Stimmung im Land spiegelt?
Wenn das jemand so sehen sollte, hat er sich die Berichterstattung von Spiegel und Stern nicht angesehen. Die ist ja auch alles andere als unkritisch. Nur: Die Bild-Zeitung verdient ihr Geld damit, dass sie als Anwalt des kleinen Mannes auftritt. Wenn es also um die nötigen Korrekturen des Sozialstaates geht, liegt es nahe, dass man mit solchen Publikationen Ärger hat.
Aber Gerhard Schröders Zorn trifft auch den Stern, der von einer Kanzlerreise ausgeladen wurde.
Ich teile die kritische Haltung des Stern zu Schröder nicht, und ich kann auch gut verstehen, dass der Kanzler sich darüber ärgert. Aber die Art der Reaktion nützt der Bundesregierung nichts. Sie schadet ihr. Sie hat übrigens auch Kohl geschadet: Der hat zwar durchgehalten und in seinen 16 Jahren als Kanzler dem Spiegel kein Interview gegeben. Aber das ist am Ende des Tages ja ein schaler Triumph.
Den Schröder jetzt nachzuholen gedenkt?
Kohl jedenfalls hat sich das Leben damit unnötig schwer gemacht. Man muss Zeitungen in Interviews manchmal kräftig Kontra geben, falsche Fragen zurechtrücken, kämpfen. Es macht überhaupt keinen Sinn, sich mimosenhaft ins Kanzleramt zurückzuziehen.
Auch die Bundespressekonferenz kritisiert die Informationspraxis der Regierung – das ist so noch nie vorgekommen.
Den Konflikt auf diese Ebene zu heben, halte ich für stieselig. Jetzt die Bundespressekonferenz und demnächst vielleicht auch noch den Presserat oder sonstige Institutionen zu mobilisieren, ist doch weit übertrieben.
Könnte Schröders Haltung nicht auch als Indikator verstanden werden, dass die Bild -Zeitung unwichtiger wird?
Das glaube ich nicht. Schröder ist, was Öffentlichkeitsarbeit betrifft, absolut realistisch. Er weiß, dass er in einer Krisensituation ist. Da ist klar, dass er nicht sagt: „Uns ist ganz egal, was die schreiben.“ Es läge jetzt aber eigentlich nahe, dass er sich um alle Medien besonders bemüht, gleichgültig, wie kritisch die sind.
Der Kanzler hat also nichts in der Hand – und keine Druckmittel gegen Bild ?
Ich glaube nicht, dass die Bild-Zeitung zusammenbricht, wenn der Bundeskanzler mal ein Jahr lang keine Bild-Reporter auf Reisen mitnimmt oder dem Blatt keine Interviews gibt. Dass führt nur dazu, dass Frau Merkel häufiger Interviews bekommt. Ob das dann der Regierung hilft, da habe ich meine Zweifel.
Also agiert der Kanzler wie ein bockiges Kind?
Das Bild vom bockigen Kind will ich nicht übernehmen. Aber eine solche Strategie der Kommunikationsverweigerung kann man nur dann sinnvoll anwenden, wenn man sich zurückziehen will. Wenn jemand sagt: „Euer Getriebe habe ich satt“, kann ich das durchaus verstehen.
Machen Sie beim Bundeskanzler etwa Rücktrittsgedanken aus?
Nein, natürlich nicht. Er muss sich aber klar machen, dass das, was seine Leute jetzt tun, nur sinnvoll wäre, wenn man aufgeben wollte. Er will nicht aufgeben, also muss er seine Leute wieder auf einen vernünftigen Kurs bringen.
Wie sieht der denn aus?
Ach, denken Sie an den berühmten Spruch von Herbert Wehner an die aus dem Bundestag ausziehende CDU: „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.“ Jetzt hat man einen Boykott verkündet, wenn man den morgen wieder aufhebt, werden übermorgen neue Säue durchs Dorf getrieben.
Um im Bild zu bleiben: Und was wird aus dem Mist, der dabei hängen bleibt?
Das ist kein bleibender Schaden. Mist kann man entsorgen.
INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG