: Schröder lässt Joschka Fischer ziehen
Weil Europa schneller kommt als erwartet, gibt der Kanzler seinen Duzfreund, Vize und wichtigsten Koalitionspartner frei: Er darf sich als EU-Außenminister bewerben. Fragt sich nur, ob der Grüne es bis Brüssel schafft – und wer ihn in Berlin ersetzt
aus Berlin PATRIK SCHWARZ
Es klingt nicht nach viel, und doch ist es alles: In gerade mal einem Satz hat Gerhard Schröder gestern der drängendsten Ambition seines Vizes Joschka Fischer den Segen erteilt. Der Bundeskanzler hat sich entschlossen – und es deutlicher gesagt als je zuvor –, seinen Außenminister nach Brüssel ziehen zu lassen, falls der Grüne dort erster europäischer Außenminister werden kann. War die Hoffnung des Joschka Fischer auf höhere Weihen in Europa bisher kaum mehr als ein Gerücht, hat sie durch den Kanzler-Segen nahezu den Status einer offiziellen deutschen Bewerbung erhalten.
Im Interview mit dem Tagesspiegel beteuerte Schröder zwar, sein weinendes Auge wäre bei Fischers Wechsel größer als sein lachendes. „Wenn aber eine solche Position für Deutschland erreichbar ist und man eine exzellente Besetzung hat, darf der Kanzler das nicht egoistisch sehen, schon wegen der Verantwortung für die europäische Idee.“ Würde der Grüne mit seinem Anspruch scheitern, stünde nun auch sein Pate schlecht da.
Vor drei Wochen hatte Schröder noch anders geklungen. Einen Verlust seines Koalitionspartners Joschka Fischer brauche man nicht zu befürchten, so der SPD-Vorsitzende im Spiegel, „der kommt mir ja nicht abhanden.“ Einzige Andeutung: Man sollte jetzt nicht „über Personen diskutieren – es sei denn, man wollte sie kaputtmachen“. Diese Zurückhaltung hat der Kanzler jetzt aufgegeben. Auch wenn er gerade durch Asien tourt, bestätigte sein Umfeld der taz, dass den Außenminister die neue Erklärung von oberster Stelle nicht unvorbereitet getroffen hat. „Die reden ja permanent miteinander.“ Auch im Auswärtigen Amt (AA) gingen Eingeweihte gestern davon aus, dass zwischen den rot-grünen Duzfreunden über den heiklen Abgang längst Absprachen existieren – nur welche?
Während Fischers Mannen unsicher scheinen, ob ihr Minister zur Bewerbung auch in letzter Konsequenz entschlossen ist, hat man im Kanzleramt weniger Zweifel. Schröders Helfern fällt vor allem auf, wie viele Papiere des AA zu Europas künftiger Außenpolitik in letzter Zeit den Weg an die Öffentlichkeit fanden. „Wenn es ihm (Fischer) ernst ist mit etwas, betreibt er es mit großer Zielstrebigkeit“, bemerkt ein Kanzlerist trocken. Das Lancieren gehört da zum Repertoire.
So berichtet etwa der Spiegel am Wochenende, Fischer skizziere in einem Schreiben an den Präsidenten des EU-Konvents Valéry Giscard d’Estaing bereits detaillierte „Grundlagen für einen europäischen diplomatischen Dienst“. Sogar militärische Kompetenzen soll der EU-Außenminister erhalten. Konkret nennt Fischer „Arbeitseinheiten für das militärische und zivile Krisenmanagement und für die Verteidigungspolitik“ des Ratssekretariats, Militärstab inklusive.
Seine letztgültige Entscheidung dürfte der Deutsche tatsächlich davon abhängig machen, wie seine Chancen sich bis zum Stichtag Mitte 2004 entwickeln. Anders als er selbst es gerne glaubt, ist er europaweit nicht nur beliebt. Dabei spielt weniger seine Ablehnung des Irakkriegs eine Rolle, als der kohlhafte Gestus mancher seiner Auftritte: Ich war schon immer da – und ich weiß es immer besser. Vielleicht ist es kein Zufall, dass ihn aus den Reihen der EU-Regierungschefs ausgerechnet Jean-Claude Juncker unterstützte. Der Premier aus Luxemburg kam schon mit Helmut Kohl stets bestens aus.
Traut Fischer sich, schafft er es? Von beiden Fragen unabhängig hat die Spekulation über mögliche Nachfolger in Berlin begonnen. Zu besetzen sind immerhin drei Jobs auf einmal: Vizekanzler, Außenminister und Obergrüner. Bei Fischers grünem Senioren-Sozius Jürgen Trittin registriert man mit Erbitterung, dass dessen – angebliche – Hoffnungen mehr Hohn als Hymnen auslösten. „Was bisher dazu über Jürgen geschrieben wurde, diente mehr dem Zweck, ihm zu schaden“, grummelt ein Vertrauter. Bleibt fast nur ein anderer Name, wie Parteienforscher Joachim Raschke neulich in der taz meinte: „In einem schwierigen Ministerium bewährt, im Mainstream der Partei verankert, mit guten Chancen, als Sprecherin des Landes akzeptiert zu werden, wenn auch bisher nur mit ressortbezogener internationaler Erfahrung, könnte man Renate Künast, der Unerschrockenen, etwas zutrauen im Außenministerium.“ Abwegig? Raschke: „Das Amt macht den Minister (und die Ministerin).“
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