Positiv verbucht, lebenslang erledigt

Grönemeyer im Weser-Stadion? Nein. 1988 spielte Herbert Grönemeyer in Regensburg. Und nach diesem Konzertbesuch kann es keinen weiteren geben

10. Mai 1988, gegen 22 Uhr, Regensburger Donauhalle: Ein Meilenstein. „Es war unerträglich heiß in der Halle“, sagt Florian fünfzehn Jahre später. Grönemeyer, erzählt er, habe dem Hallen-Personal die Anweisung gegeben, die Klimaanlage runterzufahren, damit die Fans mit der Hitze noch heißer werden. „Die ganze Halle ist ausgeflippt. Er hat über zehn Zugaben gegeben und konnte nicht mehr sprechen am Schluss. Die Kleidung hing ihm tropfnass vom Körper. Er stand da, hat nur noch den Kopf geschüttelt und gesagt: ‚Wahnsinn. Ihr seid Wahnsinn.‘“

An diesem 10. Mai 1988 war Florian 14 Jahre alt, wie ich. Für uns beide war es das erste Mal: In der Donauhalle zusammen mit zweitausend Besuchern. Wir im hinteren Drittel der Halle, zunächst. Das Licht geht aus. „Was soll das?“ Gute Frage. Klingt alles exakt wie auf der Platte. Und jetzt? Dastehen. Schauen. Klingt immer noch alles wie auf der Platte. Wozu dann live spielen? Die vorne heben die Arme hoch, klatschen über den Köpfen in die Hände. Schauen wird schwer. Auch Florian hebt die Arme zum Klatschen. Hätte er nicht tun müssen: Im hinteren Drittel der Halle ist Platz. Man hätte auch bequem vor dem Bauch mitklatschen können.

Aber das wäre nicht das Gleiche gewesen: Die gehobenen Arme waren sicher der erste Schritt zum Meilenstein. In diesem Moment keimte auf Florians Handtellern der Satz, den er fünfzehn Jahre später wie einen Monolith in den Raum stellt: „Das war das beste Konzert meines Lebens.“ Bin beeindruckt. Ich könnte vielleicht doch hingehen: Zu Grönemeyer im Mai 2003. Ins Weserstadion, zum ersten Mal.

Aber: „Halt mich, nur ein bisschen, dass ich schlafen kann“ – Grönemeyer im Donauhallen-Spotlight, am Klavier. Singt er zum Play-Back? Die Hände halten Feuerzeuge. Oder Wunderkerzen. Oder ihre Freundin. Grönemeyer spielt sicher selber Klavier. Grönemeyer würde sein Publikum nicht verarschen. Im Gegenteil: Grönemeyer sagt immer wieder, dass ihn das Regensburger Publikum begeistert. Außerdem schwitzt der Schlagzeuger wie ein Tier, hat sich ein zusammengerolltes Handtuch um den Hals gelegt. Und Sonnenbrillen tragen die nur, weil die Scheinwerfer so blenden und nicht, weil sie cool sein wollen. Sagt Florian. Er will nach vorne, will näher ran. Erzählt später von der „fünften Reihe“.

„Die Armeen aus Gummibärchen. Die Panzer aus Marzipan“ – ich warte. Plötzlich spielt die Band nicht mehr wie auf der Platte, sondern: Sie hört mitten im Song auf. Dafür singt das Publikum: „Kinder, an die Macht!“ Aber ich will nicht singen. Will auch nicht klatschen. Habe kein Feuerzeug dabei. Und will auch nicht in der fünften Reihe wie ein Tier schwitzen, sondern selber Schlagzeug spielen.

Trotzdem bleibe ich stehen, bis das Licht wieder an geht. Um nichts zu verpassen. Fünfzehn Jahre später gehe ich am Weserstadion vorbei. Eine Armee von Brezel-Bäckern lagert im Gras. Auf den T-Shirts steht „Mensch“. Und ich kann den Schwarzmarkt-Verkäufern nicht helfen, obwohl die ihre Karten 50 Cent unter Ladenpreis anbieten.

Immerhin: Durch Grönemeyer habe ich Florian mal wieder gesprochen. „Es war das beste Konzert meines Lebens.“ Das sitzt. Das ist elegant: Das Thema „Grönemeyer“ ist positiv verbucht und doch lebenslang erledigt. Denn das Beste steht auf einer Sonderseite im Tagebuch. Das Beste verlangt keine Überprüfung. Das Beste lässt sich nicht toppen. Das Beste lässt Florian sagen: „Ich bin weit davon entfernt, noch einmal zu einem Grönemeyer-Konzert zu gehen.“

Klaus Irler