: Den Blick im Blick
Das Übersee-Museum zeigt in der Ausstellung „Die Lieblingsfrau des Lirau“ historische Südsee-Fotografien aus der Zeit zwischen 1880 und 1920
Die Bucht einer Südseeinsel, der Urwald ragt nah bis ans Wasser, eine Felsformation bildet ein Tor zum Durchschwimmen. Klassisch. Ideal wär die Szenerie für Sean Connery, wie er als James Bond aus dem Wasser taucht, um Dr. No von der Insel zu holen. Nur dass Bond in den 1960ern schon in Farbe unterwegs war, und diese Inselfotografie in grobkörnigem Schwarz-Weiß daherkommt. Entstanden ist es laut Info-Tafel noch „vor 1897“ und diente seinerzeit dazu, europäische Phantasien von der Südsee mit Bildern zu unterfüttern.
Frappierend, dass das Südsee-Klischee von vor 1897 so genau dem von 1962 entspricht – aber das bleibt eine Ausnahme in der Ausstellung „Die Lieblingsfrau des Lirau“. Bei den Porträtfotos beispielsweise haben die Fotografen ihre Fotostudios samt Kulissen nach Übersee exportiert und die Menschen in Ozeanien abgelichtet, als seinen sie Kunden aus Catrop-Rauxel. Gruppenfotos sehen aus, als wären die Wandervögel im Harz auf Sonntagsauflug. Mit den Begebenheiten vor Ort hat das gar nichts zu tun, und das ist es auch, was die Ausstellung im Übersee-Museum zeigen möchte: Es geht nicht um Ozenanien selbst, sondern um die Inszenierung von Ozeanien vor europäischen Kameras in den Jahren 1880 bis 1920.
Aus über 2.300 Ozeanien-Aufnahmen im Bildarchiv des Überseemuseums hat Projektleiterin Silke Seybold rund 150 Bilder ausgewählt und hat sie in die Kategorien „der öffentliche Blick“, „der private Blick“, „der Blick des Museums“ und „der Blick des Sammlers“ unterteilt. Gemeint ist damit, mit welcher Motivation die Kamera in die Hand genommen wurde: Die Fotografen des „öffentlichen Blickes“ machten ihre Bilder vor allem aus ökonomischem Interesse, knipsten gut konsumierbaren Exotismus für ein europäisches Publikum.
Privat dagegen fotografierte jemand wie Theodor Beyerlein, der von 1913 bis 1921 als Pflanzungsassistent und Hotelwirt auf Papua Neuguinea lebte. Frau und Kind sind da im Bild, ebenso wie der Kollege beim Verzehr einer Flasche Beck’s. Oder eine Gruppe farbiger Plantagenarbeiter, vor der drei herrische Weiße mit Gewehren sitzen. Die Fotos sind allesamt undatiert, stammen aus einem Familienalbum, das Beyerleins Familie dem Übersee-Museum schenkte.
Das Übersee-Museum selbst besorgte sich von 1907 bis 1911 Südsee-Bilder gezielt zur Illustration von Ausstellungen. Bilder, die sich dezidiert um einen wissenschaftlichen Blick bemühen, sich dabei beklemmend unterkühlt nur für die Physis der Menschen interessieren – „Dieser Kopf! Diese Brust!“ hat man damals mit Kugelschreiber auf eines der Fotos geschrieben.
Sehr einleuchtend ist der Grundgedanke, mit den Fotos weniger über Ozeanien als über den europäischen Blick sagen zu können – ein Gedanke, den die Ausstellung sorgfältig durchhält. So sorgfältig, dass die Abteilung „Sammler-Blick“ fast etwas penibel wirkt: Der Blick des Museums und der des Sammlers sind sich so ähnlich wie die Südsee-Bucht und James Bonds Grand Tourismo. Klaus Irler
„Die Lieblingsfrau des Lirau“: ab heute bis 6. Juni im Übersee-Museum