Alles kann, nichts muss

Entscheidungen machen unglücklich: Mit „Pech für George“ liegt nun auch Paula Fox’ Debütroman erstmals auf Deutsch vor

VON GISA FUNCK

Der Literaturbetrieb liebt Entdeckungen, besonders die verkannter Autoren. Die 80-jährige New Yorker Schriftstellerin Paula Fox ist dafür ein prominentes Beispiel. Anfang der Neunzigerjahre hat sich kein Geringerer als Jonathan Franzen in einem langen Artikel zu ihrem Verehrer aufgeschwungen. Seitdem werden nicht nur in den USA die bis dahin vergriffenen Romane von Fox neu aufgelegt, auch der Münchner C.H. Beck Verlag veröffentlicht seit ein paar Jahren ihr Werk erstmals auf Deutsch. Susanne Röckel hat mit „Pech für George“ (in Original: „Poor George“) inzwischen bereits den fünften Fox-Roman übersetzt. Einmal mehr souverän, auch wenn im Text ziemlich häufig das Wort „sagen“ vorkommt.

Pech für George“, das Fox-Debüt aus dem Jahr 1967, erzählt von einem Leiden, das auch heute noch aktuell ist: dem Leiden an der scheinbaren Willkür existenzieller Zwänge, die immer erst ein selektiver Blick zu einem Schicksal adelt. Die Tragik des Helden George Mecklin besteht hier gewissermaßen darin, dass er diesen filternden Blick nicht aufbringt. Oder, um es mit dem Philosophen Richard Rorty zu sagen: George laboriert am lähmenden Gefühl, wonach eine Entscheidung für etwas immer auch eine Entscheidung gegen etwas bedeutet. Entsprechend schwer fällt es dem Englischlehrer an einer Privatschule in Manhattan, sich überhaupt zu entscheiden.

George gehört zu jener Sorte Grübler, die vor lauter Relativierung unfähig ist, klare Meinungen zu vertreten, weil sie immer wieder die Kehrseite mit bedenkt. Längst etwa empfindet der 34-Jährige seine Arbeit als lästige Pflicht. Kündigen aber möchte er sie dennoch nicht. „Am Anfang“, klagt George einer Nachbarin, „kam es mir wunderbar vor. Aber jetzt. Vielleicht unterrichte ich eigentlich gar nicht mehr. Es macht keinen Unterschied.“

Alles kann so oder auch ganz anders sein. Wenn George von seiner Frau Emma spricht, einer gleichaltrigen Bibliothekarin, klingt das ebenfalls nicht besonders schicksalsträchtig. Emma ist für ihn lediglich „eines jener bleichen Mädchen, die immer wieder am Rand der städtischen Boheme-Zirkel auftauchen und die so heftig darunter leiden, fehl am Platz zu sein, dass sie heldenhaft wirken.“ Man darf vermuten, dass er eher aus Mitleid denn aus Leidenschaft bei ihr bleibt. Die brodelnde Flower-Power-Bewegung wiederum lässt ihn kalt. Während seine Kollegen sich hier entweder auf die Seite rebellischer Schüler schlagen oder umgekehrt polemisch gegen die „aufgeblasenen, verwöhnten, charakterlosen Blagen“ zu Felde ziehen, „die von der Kinderbibel zur Politik aufsteigen“, meidet George strikt jede Debatte und spinnt sich ein in einen Kokon traut anheimelnder Zweisamkeit. Ja, er und Emma benehmen sich, als wären sie bereits früh vergreist. Die Frage nach Kindern haben sie auf unbestimmte Zeit verschoben. Sexuell läuft bei ihnen sowieso nicht mehr viel. Und dann verkriechen sie sich auch noch in die Einöde, als gelte es, der Jugendrevolte nur weit genug zu entfliehen. Ausgerechnet am Vorabend des „Summer of Love“ ziehen die Mecklins aufs Land, in ein Häuschen mit Apfelbaumgarten. Das Spannendste am nächsten Ort „Peekskill“ sind ein Kino und ein „Windmühlenrestaurant“, sodass George schon bald schlimme „Langeweile“ plagt.

Natürlich entdeckt er auch darin noch einen positiven Aspekt. „Gewiss waren sie beide enttäuscht, aber waren das nicht die meisten Leute?“, räsoniert er. „War das nicht die Probe, ob sie wirklich erwachsen waren – ob sie die Fähigkeit hatten, die Kluft zwischen Erwartung und Wirklichkeit zu überbrücken?“ Lieber das kleine Glück mit Garten als der große Griff zu den Sternen, lautet die Devise der verzagten Mecklins. Bis George schließlich auf den Schulabbrecher Ernest trifft, der den Theoretiker zurück auf den Boden holt und von seinem Trott erlöst. Beim Pauken mit Ernest erkennt George endlich wieder, dass Denken ohne Lust zur Tat nutzlos ist – und „die Fähigkeit, an etwas interessiert zu sein, ein Luxus“ ist. Der Gefühlsmensch Ernest, der als einzige Figur im Roman überhaupt noch den Mut aufbringt, von einer besseren Zukunft zu träumen, wirkt auf George faszinierend. Der ordnungsliebenden Emma hingegen ist der Teenager suspekt.

Aus diesem Konflikt erwächst in typischer Fox-Manier ein kammerspielartig verdichtetes Ehedrama, das plätschernd, geradezu beiläufig in die Katastrophe schlittert. Und auch wenn einem das erwachsene Personal ihres Erstlings auf Dauer etwas arg durchgängig resigniert erscheint: „Pech für George“ schlägt einen in seinem nüchtern-personalen Erzählton doch unweigerlich in Bann. Manche von Georges Gedanken lesen sich wirklich verblüffend zeitgemäß. „Man will dem System einen Schwinger versetzen“, entfährt es ihm etwa in einer Feierrunde, „und stellt fest, dass man nur ein bisschen mit dem Arm herumfuchtelt, dass man nur ein Teil des Gesamtbilds ist. Ich meine, es ist einfach unmöglich, unpopulär zu sein!“ Im Buch hört George an dieser Stelle zwar wieder einmal niemand zu. Sein bitterer Befund aber, dass jeder Protest in der kapitalistischen Marktgesellschaft letztlich stets aufgeschluckt wird, klingt geradezu beunruhigend vorausschauend.

Paula Fox: „Pech für George“. Aus dem Amerikanischen von Susanne Röckel. C.H. Beck, München, 256 Seiten, 19,90 Euro