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Archiv-Artikel

„Der war süchtig nach der Straße“

Kollegen erinnern an Ernst: Der Jongleur und „Straßenarbeiter“, den wohl alle BremerInnen kannten starb im vergangenen Herbst im Alter von 41 Jahren. Morgen verwandeln seine Weggefährten den Liebfrauenkirchhof in ein großes Freiluft-Varieté

Ein schlaksiger Junge auf dem Hochrad, der souverän mit bunten Keulen jongliert. Um ihn herum riesenhafte Menschentrauben: Wohl kein anderer Straßenkünstler konnte sein Publikum so begeistern wie Holger „Ernst“ Schweig-Riekers. „Der hatte es total drauf, ganz spontan auf Menschen und Situationen im Publikum zu reagieren“, schwärmt eine ehemalige Zuschauerin, sobald Ernsts Name fällt. „Er konnte die Leute unheimlich gut nachmachen und eine Situation urkomisch auf den Punkt bringen!“ Vor einem halben Jahr starb Ernst. Morgen ab 16 Uhr erinnern Kollegen mit einer großen Show auf dem Liebfrauen-Kirchhof an den beliebten Straßen-Artisten.

Einer von Ihnen ist Friedrich der Zaubererrr (ja, mit drei „r“!). „In Bremen kannte Ernst jeder“, sagt Friedrich, „er bekam eine Menge Anerkennung.“ Manche Jongleure seien auch ganz schön neidisch gewesen. Bei ihren Auftritten hätten die Leute oft gefragt: Sag mal, kennst Du auch Ernst? „Da waren die erstmal sauer.“

Jongleure gibt‘s viele. Was war das Besondere an dem Bremer Straßenkünstler? „Der hat seine Arbeit geliebt,“ meint Friedrich. Irgendwann habe sich Ernst mal eine Auszeit genommen. Aber das habe er nicht lange durchgehalten: „Er hat den Kontakt zum Publikum geliebt. Ich glaub‘, der war süchtig nach der Straße.“

Zehn, zwölf Shows am Tag hat Ernst manchmal gemacht. Im ganzen Bundesgebiet war er unterwegs. Fast 20 Jahre lang. Und er war stolz darauf, ein Profi zu sein, ein „Straßenarbeiter“, wie er selbstironisch sagte. Seine Aufführung hat sich in den Jahren seiner Laufbahn nicht wesentlich verändert. Es waren sein intensives Spiel, sein wolkenlos strahlender Charme, die das Publikum faszinierten.

Und wie war Ernst, wenn er mal nicht arbeitete? „Der war einfach total lieb und offen“, erinnert sich sein Freund und Kleinkunst-Kollege Pierre Chuchana. „Bei einem unserer ersten Treffen habe ich ihn um Tipps fürs Jonglieren gebeten. Er hat mir sofort weitergeholfen, keine Spur von Kollegenneid.“

Im Gegenteil, Ernst hat die Kollegen „vernetzt“, statt sie zu bekämpfen: Die Gründung des „Variété Wüst“ für Klein- und Straßenkunst geht auf sein Konto. Sicher ist seine Kollegialität auch darauf zurück zu führen, dass er die Konkurrenz der anderen nicht fürchtete. ‚Ich bin der Beste‘, das habe Ernst öfters gesagt. Mit einem Augenzwinkern zwar, erinnert sich Chuchana, aber ernst gemeint habe er es doch. „Er war sehr stolz auf sich und seine Arbeit, aber ohne eine Spur von Arroganz.“

Keine Spur auch vom Klischee des armen, bindungslosen Straßenkünstlers ohne festen Wohnsitz: Holger „Ernst“ Schweig-Riekers lebte seit Jahrzehnten in Bremen, war verheiratet und Vater von zwei Kindern. Und er zeigte gern, dass er Geld verdiente. Er liebte es, das jeweils neueste, teuerste, winzigste Handy vorzuführen. Und er hatte Spaß an hochwertigen Autos. „Sein erster Mercedes war so ein großer, orangefarbener der C-Klasse. Die letzten Jahre hat er seine Wagen geleast, er behielt keinen länger als zwei Jahre“, so Chuchana. Ein schicker Benz-Kombi musste es immer sein. Sein Hochrad ließe sich so gut darin transportieren, sagte er.

Aber vor allem fuhr er gern schnell. „Vielleicht wollte er sich dafür entschädigen, dass er aus einfachen Verhältnissen kam“, überlegt sein Freund Pierre. Mag sein. Wer kann das schon wissen? Vielleicht hat er sich nach all der Schufterei auf hartem Bremer Pflaster einfach selbst gern was Raffiniertes, Verspieltes, Schnittiges und Komfortables gegönnt. Aber sicher ist: Er sich ins Herz vieler Menschen jongliert.

Zur Hommage an Holger „Ernst“ Schweig-Riekers werden morgen mehr als 15 Profikünstler aus verschiedenen Städten Deutschlands erwartet. Tante Luise und ihr Neffe Timothy werden englisch-bremische Comedy-Akrobatik aufs Straßenpflaster bringen. Pierre Chuchana wird die Schaulustigen mit Zauberei in Atem halten. Das Trio Flop wird Magie, Jonglageund Vocal-Entertainment inszenieren. So ein rauschendes Pflaster-Spektakel auf dem Liebfrauenkirchhof hätte sicher auch den Straßenkünstler bezaubert, dem es gewidmet ist.

Katharina Müller

Hommage an Ernst, morgen von 16 bis 20 Uhr auf dem Liebfrauen-Kirchhof