: Richter wollen weniger Todesurteile
Chinas Volkskongress diskutiert erstmals, die Anwendung der weit verbreiteten Todesstrafe zu reduzieren und die Kriterien zu vereinheitlichen. Dafür soll den Provinzgerichten die Zuständigkeit entzogen werden. Das ist ganz im Sinne dortiger Richter
AUS PEKING GEORG BLUME
Li Yunlong war diesmal erfolglos. Der in ganz China bekannte Rechtsanwalt, der bislang in 15 Fällen Revisionsverfahren gegen Todesurteile gewann und den Angeklagten damit das Leben rettete, hatte den Volkskongressabgeordneten seiner Provinz Jiangxi einen Antrag vorgelegt. Darin forderte Li die Abschaffung der Todesstrafe für Korruptions- und Bestechungsfälle.
„China ist das einzige Land der Welt, das Wirtschaftsverbrechen mit der Höchststrafe ahndet“, so Li. Doch die Abgeordneten zogen ohne seinen Antrag zur bis morgen dauernden Jahrestagung des Kongresses nach Peking. Weder sie noch Li ahnten, dass die Delegierten die Einschränkung der Todesstrafe jetzt erstmals in der Kongressgeschichte öffentlich diskutieren würden. Bislang hatte das Scheinparlament allenfalls höhere Strafmaße gefordert. Oder die höchsten Staatsanwälte verkündeten von der Kongresskanzel die gefürchteten „Hart-zuschlagen-Kampagnen“, mit denen die Justiz von der Partei gezwungen wurde, mehr und schneller Urteile zu sprechen. Doch jetzt herrscht ein anderer Ton.
„Wenn es möglich ist, weniger Menschen hinzurichten, dann soll man weniger hinrichten“, ließ sich der oberste Sicherheitschef, Politbüromitglied Luo Gan, im Vorfeld des Kongresses von Justizbeamten zitieren. Das nahm in den letzten Tagen gleich eine Reihe von hohen Richtern zum Anlass, auf dem Kongress eine weniger ausufernde Praxis der Todesstrafe einzufordern.
Bemängelt wurde, dass die Kriterien für die Anwendung der Todesstrafe in den Provinzen sehr unterschiedlich ausfallen. „Ein Wirtschaftsdelikt, das in Shanxi zum Todesurteil führt, wird in Guangdong anders bemessen“, sagte Li Yuzhen, Vorsitzender des Obersten Volksgerichts der Armutsprovinz Shanxi. Li Daomin, Vorsitzender des Obergerichts der Provinz Henan, verlangte deshalb die Überprüfung sämtlicher Todesurteile durch Pekings Oberstes Volksgericht. Der Richter zielte damit auf einen Beschluss des Volkskongresses von 1983, der im Rahmen einer Hart-zuschlagen-Kampagne die Zuständigkeit des Obersten Volksgerichts für Todesurteile außer Kraft setzte. Erst seit diesem Beschluss wurde in China während der letzten 20 Jahre ein rasanter Anstieg der Todesurteile beobachtet. Amnesty International zählte allein im Jahr 2001 aufgrund von Medienberichten in China 2.468 Hinrichtungen, mehr als im ganzen Rest der Welt. Die tatsächliche Zahl der Hinrichtungen liegt weit höher und gilt als Staatsgeheimnis.
Eine Aufhebung des Beschlusses von 1983 aber würde die derzeitige Urteilspraxis in Frage stellen. Bereits heute lässt das Oberste Volksgerichts zahlreiche Revisionen zu. Von den 300 Todesurteilen, mit denen sich das Gericht im letzten Jahr befasste, ließ es 118 beanstanden. Auch Li Yunlong hatte hier in der Vergangenheit Erfolg. Die Diskussion um die Rezentralisierung der Gerichtsbarkeit zeige deshalb, dass sich „Chinas neue Regierung eine Beschränkung der Todesstrafenanwendung zum Ziel gesetzt habe“, so Li.
Doch liegt die Entscheidung über die Urteilspraxis nicht nur beim Volkskongress. „Viel wichtiger als die Zuständigkeit des Obersten Volksgerichtes in Peking ist ein Einvernehmen darüber, dass die Partei nicht mehr mit eigenen Kampagnen die Justizverfahren beeinflussen kann“, kommentiert Professor Mi Jian von der Universität für Politik und Recht in Peking die Debatte im Volkskongress. Doch stehe die Partei laut Mi heute unter dem Druck ihres Justizpersonals: „Ich habe kürzlich ein Jahr im Obergericht der Provinz Qinghai als Richter gearbeitet. Alle Kollegen dort wollten die Zuständigkeit für die Todesstrafe loswerden.“