Ein Streit um Land und Nationalideologien

Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan ist so alt wie die Staaten selbst. Seine Bilanz: nukleare Aufrüstung, Armut und Extremismus

Die Feindschaft zwischen Indien und Pakistan geht auf ihre gemeinsame Zeugung und Geburt zurück. In der Unabhängigkeitsbewegung kämpfte die Kongress-Partei für einen laizistischen, multireligiösen Staat. Die Muslim-Liga dagegen wollte eine „Heimat für die Muslime des Subkontinents“ errichten. Mit der Hilfe der Kolonialmacht („Teile und herrsche“) ging Britisch-Indien 1947 in zwei unabhängige Staaten über.

Die muslimischen Mehrheitsprovinzen im Osten und Westen wurden in den neuen Staat Pakistan („das Land der Reinen“) eingebracht, die große Landmasse dazwischen ging in der Republik Indien auf. Rund zehn Millionen Einwohner flohen nach dieser Teilung in beide Richtungen. Muslime nach Ost- und Westpakistan, Hindus und Sikhs ins neue Indien. Eine Million Menschen kamen im blutigen Gemetzel der beiden Flüchtlingsströme um.

Kaschmir, ebenfalls ein Staat mit einer Muslimmehrheit, fiel an Indien, da sich der Hindu-Herrscher für Delhi entschied. Das aber wollte das neue Pakistan nicht akzeptieren. Bereits drei Monate nach der Unabhängigkeit kam es zum ersten Krieg um diesen Zankapfel. Daraufhin fiel ein Drittel an Pakistan, der Rest blieb in Indien.

Doch die Waffenstillstandslinie blieb eine heiße Grenze, und zwei weitere Kriege folgten, die beide Indien gewann. Pakistan büßte 1971 den gesamten Ostteil ein, der unter dem Namen Bangladesch unabhängig wurde.

Die Niederlage führte in Pakistan zur Gewissheit, dass Indien darauf aus war, sich auch Westpakistan einzuverleiben. Militärherrscher – erpicht darauf, sich Legitimität zu verschaffen – schürten diese Angst.

Da sie in konventioneller Stärke dem Gegner unterlegen waren, griffen sie zum Mittel der „tausend kleinen Schnitte“: Guerilla-Aktionen in Kaschmir, Sabotageakte und das Schüren religiöser Unruhen sollten den mächtigen Nachbarn allmählich ausbluten. Die Atombombe, kurz nach den indischen Nukleartests 1998 zur Explosion gebracht, sollte der Schild sein, um sich vor Delhi zu schützen.

57 Jahre nach der Unabhängigkeit sind beide Staaten ausgeblutet. Riesige Rüstungsbudgets und das Einfrieren der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Nachbarn haben dazu geführt, dass Indien und Pakistan die größten Armutsländer der Welt geblieben sind.

Statt die Teilung Kaschmirs zu akzeptieren, sehen sich beide Länder einer Unabhängigkeitsbewegung der Kaschmirer gegenüber. Und im Bestreben, ihre Ideologie durchzusetzen, eine islamische oder eine laizistische Nationalidee, sind sie mit wachsendem religiösem Extremismus im eigenen Land konfrontiert. BERNARD IMHASLY