: Monokini in der Uckermark
Zu Anfang der Achtzigerjahre noch eine Nostalgiekiste für Apo-Opas über dreißig, heute ein schöner modellhafter Ritt durch vierzig Jahre westdeutsche Geschichte: Das Berliner Grips Theater führt Volker Ludwigs und Detlef Michels Stück „Eine linke Geschichte“ in seiner inzwischen schon elften Fassung auf
VON CHRISTIANE KÜHL
Das Grips Theater wohnt in einem Glaskasten unter einem Betonklotz über einer U-Bahn gleich neben „Curry Baude 2“. Und das seit 30 Jahren. Schön ist es nicht am Berliner Hansaplatz, aber Schönheit hat das Grips Theater auch selten interessiert. Hier werden die hässlichen Seiten des Lebens verhandelt, die Armut, der Verrat und die Einsamkeit. Vornehmlich Jugendliche kriegen voll eins in die Fresse, nur damit sie sich nachher ihrer eigenen Kraft besinnen und als neu geborene Helden den fiesen Alltag singend besiegen. „Problemstück“ nannte man so was früher und pädagogisch wichtig. Früher, als die Sozialpädagogik noch der Traum jeder gutbürgerlichen Tochter war und bärtige Männer bekifft an der Weltrevolution bastelten. Schnarch. Ist da noch wer?
Es ist. Als vergangene Woche „Eine linke Geschichte“ am Grips Premiere feierte, war das Haus jeden Abend ausverkauft. Das Stück von Volker Ludwig und Detlef Michel ist eines ihrer wenigen, das sich direkt an Erwachsene richtet; erzählt wird, wie der Titel verspricht, eine Geschichte der deutschen Linken. Nicht die Geschichte, wie die Autoren betonen, sondern eine unter vielen. Aber doch eine, wie sie sich zigtausendmal entwickelt hat. Sie beginnt 1966, als sich am Rande einer der Berliner „Spaziergang-Demonstrationen“ die Studenten Karin, Lutz und Johannes begegnen. Karin ist neu aus der Provinz an der FU, Lutz lebt in der berüchtigten Kommune, und Johannes ereifert sich im SDS. In einer Nummernrevue, die Stationen ihres Lebens von den Sechzigern bis heute zeigt, sieht das Publikum, wie die drei sich gemeinsam immer stärker politisieren, die freie Liebe feiern, WGs üben, die Arbeiterrevolution predigen, in Flügelkämpfen zerfallen, sich mit fortschreitendem Alter etablieren und im Schoße der Bequemlichkeit wieder entpolitisieren. Am Ende steht das Häuschen in der Uckermark, der Toscana des Nordens, und Weine unter zehn Euro werden nicht mehr angerührt.
Im Programmheft zur Uraufführung gestehen Ludwig und Michel, sich mit dem Stück „eine Nostalgiekiste für Apo-Opas über 30 abgewichst“ zu haben. Das war 1980, und vielleicht musste man da so sprechen. Mit Sarkasmus die Wunden lecken, die das Scheitern des Bewegung geschlagen hatten. Dass nicht nur Kohl und die nahende Wende wehtaten, sondern auch die eigene – linke – Geschichte, belegen die Kritiken zur Uraufführung. „Völlig durcheinander, paralysiert“ war etwa die Rezensentin der Courage, weil das Grips ihr „die falsche, eben undialektische Abschreibung des eigenen Lebens“ vor Augen geführt hatte. Seitdem ist das Stück in elf neuen Fassungen am Hansaplatz gespielt worden, jedesmal mit einem anderen, im derzeitigen „Heute“ spielenden Schlussbild. Von der Frauenbewegung und Bürgerinis über Faschos und Netzwerkprojekte, die AL, den Fall der Mauer und Rot-Grün fand da im Laufe der Zeit alles seinen Platz. Die vorherigen Szenen blieben textlich unverändert – und sind doch ganz anders 2004, weil der Blick des Publikums ein Vierteljahrhundert später ein fundamental anderer ist. Sahen 1980 30-Jährige die eigene Geschichte auf der Bühne, sieht der 30-Jährige heute die Inszenierung einer linken Geschichte, die er sowieso nur aus der Überlieferung – und damit meist: Selbstinszenierung der 68er – kennt. War es 1980 für „Apo-Opas“ vielleicht befreiend, endlich über die eigene K-Gruppen-/WG-Küchen-/Wer-zwei-mal-mit-derselben-pennt-Engstirnigkeit zu lachen, kichert der Nach-68-Geborene doch bereits seit längerem darüber. Weshalb der Witz eben nicht mehr so witzig ist.
Trotzdem lohnt es, diesen modellhaften Ritt durch 40 Jahre westdeutsche Geschichte zu besuchen. Nicht nur, weil man sich wie in der Pepsi-Werbung als amüsierter Archäologe auf Zeitreise zu den kulturellen Säulen des 20. Jahrhunderts empfinden kann. Vor allem auch, weil die Schauspieler klasse sind und bravourös vom Hippie zum SFB-Redakteur mutieren, von der politisch motiviert Multivögelnden zur Blazer-tragenden Grünen-Abgeordneten. Und weil Volker Ludwig und Detlef Michel ihr Handwerk verstehen und weder den Humor noch Realitätssinn verloren haben. Zur Pause wird mit erhobener Faust die Internationale gesungen. Zum Ende gibt der Exmaoist Tschu Lang Fang, auf Businesstrip in Germany, den Ausblick: „Chinesen kommen übelall! Fliedlich! Vielleicht eines Tages Uckämak, Deutschland wird chinesisches Maljorca!“ Aber das ist eine andere linke Geschichte.