Gesicht zeigen gegen Kürzungspolitik

Ein Sozialbündnis will den Haushalt stürzen. Und outet Politiker in der Nachbarschaft als Sparkommissare

Ungestört zur Arbeit ins Abgeordnetenhaus schlendern – wenn es nach dem Berliner Bündnis gegen Sozial- und Bildungsraub geht, ist damit für den PDS-Haushaltsexperten Carl Wechselberg spätestens am Donnerstag Schluss. Dann nämlich will das Sozialbündnis, das gegen die geplanten Haushaltskürzungen im Sozial-, Bildungs- und Kulturbereich protestiert, der bislang eher „gesichtslosen Kürzungspolitik“ (Pressetext) des rot-roten Senats ein Antlitz geben. Und das mit Hilfe von Demonstrationen in der Nähe der Privatwohnungen einzelner Abgeordneter, erklärte Bündnissprecher Michael Hammerbacher am Montag.

Nachdem das Landesverfassungsgericht den alten Doppelhaushalt für rechtswidrig erklärte, hat der Senat aus dem aktuellen Etat 2004/2005 noch einmal 68 Millionen Euro herausgestrichen. Zu viel, meinen die Initiatoren. Doch wer ist eigentlich verantwortlich, wenn Kitas teurer, Studienkonten installiert oder Blindengelder gespart werden, fragt das Bündnis. Und weiß auch prompt die Antwort. Die allerdings würden viele Berliner nicht kennen, so Hammerbacher.

Carl Wechselberg zum Beispiel sei eine Antwort. PDS-Landeschef Stefan Liebich oder Parlamentspräsident und SDP-Politiker Walter Momper zwei andere. Durch die Demonstrationen in der Nähe ihrer Wohnungen würden die eher anonymen Abgeordneten zur politischen Verantwortung aufgefordert, meint zumindest die Initiative.

Wie? Der Bündnissprecher stellt sich das so vor: Von der Bäckersfrau über den Postboten bis zum Nachbarn – sie alle sollen auf den Haushaltssparer in ihrem Stadtviertel aufmerksam werden. Warum? Um ihn so natürlich direkt auf künftige Kürzungen anzusprechen. „Wir wollen keinem Abgeordneten zu nahe rücken, sondern ihn lediglich auf seine Verantwortung hinweisen“, sagt Michael Hammerbacher.

Verantwortung, die dem Senat gerade für Randgruppen aus Sicht des Bündnisses abgeht: Vor allem behinderte Menschen, Migranten, aber auch Studenten, Frauen, Arbeitslose und Alleinerziehende seien Leidtragende, zählt das Berliner Bündnis auf. Seit rund fünf Monaten kämpft der Zusammenschluss verschiedener sozialer Initiativen, Gewerkschaften, Studenten und Schüler für ihre Belange. Attac, ebenfalls im Bündnis engagiert, nennt das „konsequente soziale Opposition von unten gegen den Haushalt“.

Bereits morgen Abend – also am Vortag der Verabschiedung des Haushalts 2004/2005 – will das Sozialbündnis auf die Straße ziehen. Unter dem wortgewaltigen Motto „Den Haushalt kippen – Alle für Alle!“ soll demonstriert werden.

Momper, Liebich und Wechselberg sollen dann zur Rede gestellt werden. Letzterer bleibt gelassen: „Kein Problem, ich habe Gesicht und Rückgrat und stehe zu meinen politischen Entscheidungen.“ Auf das Zusammentreffen und die Diskussionen mit Demonstranten freue er sich – wenn es dazu überhaupt komme. Denn am Donnerstag ist Haushaltsexperte Wechselberg schon früh auf den Beinen: „Da muss ich ins Plenum, den Haushalt beschließen.“

ANDREA BREDDERMANN