Israels Rückzug aus Gaza infrage gestellt

Israelische Streitkräfte gehen nach den Selbstmordanschlägen von Aschdod mit Luftangriffen gegen Palästinenser vor

„Die Märtyrer-Operationen haben Israel militärisch und psychologisch geschwächt“

JERUSALEM taz ■ Nach dem ersten Attentat zweier Palästinenser aus dem Gaza-Streifen wächst in Israel die Sorge vor weiteren Infiltrationen palästinensischer Selbstmordattentäter. Die israelische Armee reagierte zunächst mit einer sofortigen Einreisesperre für die rund 10.000 palästinensischen Arbeitnehmer sowie mit Luftangriffen auf Einrichtungen, die von der „Hamas-Terrororganisation zur Entwicklung und Herstellung von Waffen“ gebraucht werden, so eine Pressemitteilung der Armee. Die Luftangriffe, bei denen niemand verletzt wurde, galten nach Agenturberichten mehreren Eisengießereien.

Von den zwei Attentätern abgesehen, die im April 2003 mit britischem Pass den Kontrollübergang passiert hatten und anschließend ein Tel Aviver Strandcafé in die Luft sprengten, richteten sich die Attentate bislang ausschließlich gegen im Gaza-Streifen lebende jüdische Siedler sowie die dort stationierten Soldaten. Der Doppelanschlag vom Sonntag auf den Hafen von Aschdod ist ein Schlag ins Gesicht derer, die meinten, der Gaza-Streifen sei hermetisch abgeriegelt. Ein militanter Führer der Palästinenser im Gaza-Streifen sagte der Nachrichtenagentur ap, es sei beabsichtigt gewesen, die Lagertanks für Treibstoff in die Luft zu sprengen. Die Explosionen in Aschdod ereigneten sich nur wenige hundert Meter von den Tanks entfernt.

Der Anschlag, bei dem zwölf Menschen, darunter die beiden Attentäter, starben, wirft den Nahost-Friedensprozess auf zwei Ebenen zurück. Zum einen sagte Scharon das für heute geplante Gipfeltreffen mit seinem palästinensischen Kollegen Achmed Kurei (Abu Ala) ab. Zum anderen stellt der Anschlag den israelischen Rückzugsplan infrage. Scharon geriet wegen seiner Absicht, sämtliche Siedlungen im Gaza-Streifen aufzulösen, auf politischer und militärischer Ebene zunehmend in die Kritik. Morgen wird den Knesset-Abgeordneten ein Gesetzentwurf vorgelegt, demzufolge die Räumung von Siedlungen mit absoluter Mehrheit vom Parlament befürwortet werden muss. Der Rückzug war angeblich bereits für Anfang Mai geplant, doch ist bislang völlig unklar, wer die Kontrolle in dem noch besetzten Land übernehmen wird und welche Konsequenzen der Abzug für die Sicherheit der benachbarten israelischen Ortschaften hätte.

Für Israel strategisch fatal wäre zudem, die Siedler und Soldaten „unter Feuerbeschuss“ aus dem besetzten Land zu holen und so den Eindruck entstehen zu lassen, man werde in die Flucht geschlagen.

Genau darum geht es indes den Angreifern. Mohammed Deif, Hamas-Kämpfer und derzeit die Nummer eins auf der Fahndungsliste der israelischen Geheimdienste, nannte den Abzugsplan ein Signal, dass die Palästinenser gesiegt hätten. „Die Märtyrer-Operationen haben die Israelis wirtschaftlich, militärisch und psychologisch geschwächt“, meinte Deif in einem Fernsehinterview vergangene Woche. Die palästinensische Führung rief dazu auf, die Gewalt einzustellen. Die Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden hatten sich gemeinsam mit der Hamas zu dem Attentat bekannt. Erst vor zwei Wochen hatte Palästinenserpräsident Jassir Arafat die Auflösung der militanten Brigaden unterbunden.

SUSANNE KNAUL