: Grüne Basis übertrifft Parteitag
Überraschung bei der grünen Urabstimmung zur Trennung von Amt und Mandat: Das Ergebnis könnte viel knapper ausfallen als zuvor angenommen – obwohl diesmal keine Zweidrittel-, sondern nur eine einfache Mehrheit zur Aufhebung notwendig ist
aus Berlin LUKAS WALLRAFF
In der grünen Parteizentrale in Berlin lagert ein Geheimnis. Über zwanzigtausend zugeklebte Briefumschläge, vorsichtshalber auch noch verwahrt in fest verplombten Urnen. Erst ab kommenden Montag dürfen sie geöffnet werden – und auch das nur unter notarieller Aufsicht. So korrekt muss es schon zugehen, wenn eine Urabstimmung ausgezählt wird. Schließlich geht es dabei um ein ganz besonders heiliges Parteigut: die strikte Trennung von Mandat und Amt.
Dürfen Parteichefs gleichzeitig auch Abgeordnete sein? Kaum eine Frage hat die Ökopartei seit ihrer Gründung so bewegt wie diese. Nun ist sie endlich entschieden worden – von der grünen Basis. Nur wie? Fest steht bisher lediglich: Rund die Hälfte der 44.000 Parteimitglieder hat sich beteiligt, mehr als allgemein erwartet. Das Ergebnis der Auszählung wird am 23. Mai bekannt gegeben. Bis dahin darf hochgerechnet werden. Und viele Spitzengrüne müssen sich schon wieder Sorgen machen, dass die Basis abermals anders entschieden hat, als man sich das in der Führung wünschte. So wie auf dem letzten Parteitag im Dezember. Damals wollten sich Fritz Kuhn und Claudia Roth ihre Doppelfunktion als Parteichefs und Bundestagsabgeordnete genehmigen lassen – und scheiterten an der nötigen Zweidrittelmehrheit. Diesmal, bei der Urabstimmung, würden 50 Prozent der abgegebenen Stimmen genügen. Doch selbst diese Mehrheit ist keineswegs gesichert.
„Ich glaube, das wird eher knapp“, sagt der Fraktionschef der baden-württembergischen Grünen, Winfried Kretschmann. Seit einigen Tagen sei er „nicht mehr so optimistisch“. Kretschmann gehörte zu den Grünen, die sich in einer Broschüre an die Mitglieder noch einmal für die Aufhebung der Trennung einsetzten. War aller Einsatz nun vergebens? Natürlich weiß auch Kretschmann nicht, was in den Urnen lagert. Aber was er sagt, klingt jetzt schon resignierend. „Es geht um Gründungsmythen, dagegen ist kein Kraut gewachsen.“ Sollten die Mitglieder gegen eine Änderung entschieden haben, „wird das zum Ewigkeitsartikel“. Er selbst werde dann jedenfalls „nie mehr versuchen, etwas daran zu ändern“.
So weit würde Volker Beck nicht gehen. „Es gehört zu den Strukturen der Demokratie, immer wieder neu zu befinden“, so der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion. Eine neue Abstimmung sei theoretisch auch später noch mal möglich. Lieber wäre ihm natürlich, das leidige Thema wäre endlich vom Tisch. Deshalb sagt Beck: „Ich glaube, dass es eine knappe Mehrheit gibt.“ Aber für den Fall, dass es doch nicht klappt, hat er schon Erklärungen parat. „Diejenigen, die an der alten Regel festhalten, haben ihr Reservoir voll ausgeschöpft.“ Bei den Befürwortern einer Änderung sei das „sicher nicht ganz“ der Fall gewesen.
Doch warum? Warum verlief die Abstimmung so leise, fehlte es am Engagement der Führung? „Wenn es politisch ruhiger gewesen wäre, wäre es leichter gewesen“, meint Beck. Da aber „die Aufmerksamkeit auf die Agenda 2010 gerichtet“ gewesen sei, habe es „an Kraft und Möglichkeiten gefehlt, noch einmal mit diesem Thema durchzudringen“.
So weitreichend die Konsequenzen wären, richtig nervös wird bei den Grünen niemand. Denn direkte Folgen für das aktuelle Spitzenduo ergeben sich aus der Urabstimmung nicht. Angelika Beer und Reinhard Bütikofer dürfen so und so Parteichefs bleiben. Und ihre Vorgängerin Claudia Roth hat sich, wie sie gestern sagte, längst damit abgefunden, dass sie es nicht mehr ist. Roth findet es erst mal „einfach Klasse, dass sich so viele beteiligt haben“. Das Ergebnis sollten deshalb „bitte alle akzeptieren – egal wie es ausgeht“.