romance do rio : Die Frau drängt und lockt und quengelt. Und der Mann – bleibt verschwunden
Drei Tage vor Abflug nach Rio de Janeiro: Berliner To-do-Listen ohne Ende, aber noch keine Bleibe vor Ort. Es ist dringend. Ich rufe bei T. in Rio an, der mit seiner Freundin zusammenlebt. Eine Handynummer. Langes Klingeln, dann eine Frauenstimme, die sofort auf Portugiesisch sagt: einen klitzekleinen Moment, bitte. Im Hintergrund läuft der Fernseher, warmes, weiches Brasilianisch tropft aus der Leitung. Die Frauenstimme beginnt zu rufen. Wo bist du denn? Nichts. Sag mal, wo bleibst du denn? Die Minuten verstreichen, die Stimme wird drängender. Komm jetzt! Die Frau spricht energisch, trotzig, lockend, bestimmt. Mit der möchte ich als Mann keinen Ärger bekommen. Als Frau erst recht nicht. 14 Minuten sind um, dann ist auf einmal die Leitung tot. Ich traue mich nicht, es noch einmal zu probieren. Hat sie ihn gefunden, fetzen sie sich? Einen Tag später rufe ich auf einem anderen Handy an. Dieselbe Stimme, derselbe Monolog der Frau mit einem abwesenden, stummen Mann, der im Hintergrund bleibt. Ein Telefonscherz auf Band, auf Kosten des Anrufers und eines kulturellen Schemas. Oder Stereotyps? Die Frau drängt und lockt und quengelt. Und der Mann – bleibt verschwunden.
Ein Samstagnachmittag in Rio de Janeiro. Ich bin mit meinem Mitbewohner R. im Künstlerviertel Santa Teresa unterwegs. Mittagessen, quatschen, kleines Konzert, Fruchtsaft trinken. Dann ruft R.s Freundin an. Warum er sich nicht gemeldet habe? Ein paar Minuten später ruft sie noch mal an. Mit wem er eigentlich unterwegs sei? Er lügt. Als ich sie im Haus treffe, würdigt sich mich keines Blickes. Dass er mit einer jungen Frau zusammenwohnt, das gibt ihr Nahrung für Unterstellungen und Ängste. Ein Endvierziger, der auch im Haus wohnt, und seine Freundin lachen sich schlapp. „Das ist die Kultur und auch das Alter“, meint er. „Mitte 20, das ist schwer. Das wächst sich noch raus mit der Kontrolle. Damals war ich auch nicht so relaxt wie heute.“ Die Eifersucht von R.s Freundin wird der Running Gag im Haus. Als ich sie das nächste Mal sehe, flechte ich ununterbrochen meinen „namorado“ ein: Also mein Freund sagt ja …, mein Freund macht …, übrigens kommt mein Freund hierher zu Besuch! Danach spricht sie mit mir. Dafür wird es R. unbehaglich in der Beziehung. Zu viel Kontrolle, zu wenig Freiheit und Vertrauen, sagt er. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ihnen der Laden um die Ohren fliegt. R. wird sich davonmachen, und sie wird anrufen und ins Leere hineinlocken: Wo bist du, wo bleibst du denn?
Ein paar Tage später. Auf der Kaimauer neben der Militärbasis sitzt mir eine Frau gegenüber. Schlank, gebräunt, gut angezogen. Sie schaut die ganze Zeit zu mir. Ich bin irritiert: Was …? Ich …? Eine Frau …? Als ich nach einer Viertelstunde endlich wieder aufblicke, merke ich, dass sie eigentlich über meine Schulter hinwegschaut. Sie winkt kurz und verstohlen dem Soldaten zu, der vor der Militärbasis Wache hält. Dann eine abweisende Handbewegung: nein, nicht hier. Sie steht auf und geht rasch fort. Vielleicht habe ich schon zu viele Telenovelas gesehen. Ich würde wetten: die Geliebte. Oder ist er der Geliebte? In der darauf folgenden Woche prangt nämlich auf einer bekannten, halbwegs seriösen Zeitschrift folgende Titelstory: Weibliche Untreue! Und wie man sie erkennt. Indizien: Sie ist viel besser gelaunt als sonst, macht sich schön, hat viele Termine außer Haus. Ein Servicestück, würde man im Journalismus sagen. Wohl für Männer, die ihre angestammten Territorien verlieren. In der Woche davor ging es übrigens um Psychopathen. MIRIAM JANKE