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Archiv-Artikel

Hühnchen und Holocaust jetzt in Stuttgart

Ab morgen stehen in der Landeshauptstadt Plakate, auf denen KZ-Häftlinge neben Schlachtvieh abgebildet sind

BERLIN taz ■ „Absolut ungeheuerlich“, befand der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel. Deutschlandweit berichteten Presse und Fernsehen ausführlich. Und dennoch gibt es keinen nennenswerten Protest – am Tag bevor die Tierrechtsorganisation People for the Ethical Treatment of Animals (Peta) in Stuttgart ihre Kampagne „Der Holocaust auf deinem Teller“ startet. Auf drei mal zwei Meter großen Plakatwänden werden Fotos von Hühnern und Schweinen in Massentierhaltung neben Aufnahmen von KZ-Gefangenen gezeigt.

Angekündigt ist auch der Erfinder der Kampagne, der Amerikaner Matt Prescott. Jude sei er, darauf weist Peta immer wieder hin und präsentiert Prescott als Kronzeugen dafür, dass es auch Juden gut finden, wenn KZ-Opfer mit Schlachtvieh verglichen werden. „Vom Zentralrat haben wir nichts mehr gehört“, sagt Harald Ullmann, der Sprecher des deutschen Zweigs von Peta. Auch gegenüber der taz wollte der Zentralrat nicht Stellung nehmen. Problemlos lief für Peta die Anmeldung der Veranstaltung beim Amt für Öffentliche Ordnung in Stuttgart. „Massentierhaltung und Tierquälerei“ lautet der unverdächtigte Titel. „Wir hatten auch gar keine andere Wahl“, erklärt Katrin Lebherz, Sprecherin der Stadt Stuttgart. „Das Amt hat nicht das Recht zur inhaltlichen Vorkontrolle.“ Die Stadtverwaltung wird abwarten, was am Donnerstag passiert. Erst wenn sich Personen angegriffen fühlen, könnte die Polizei vor Ort prüfen. „Bisher hat es auch noch keine Beschwerden von linken Gruppen oder der jüdischen Gemeinde gegeben“, sagt Lebherz. Die Stuttgarter würden das Thema aber durchaus im Internet diskutieren. Ein Sprecher des Ministeriums für Landwirtschaft und Tierschutz sagte der taz, es sei „natürlich abscheulich, wenn Tierschützer den Holocaust für ihre Zwecke instrumentalisieren.“ Aber tun könne man nichts.

Die KZ-Bilder stammen aus dem Washingtoner Holocaust-Museum. Dessen Mitarbeiter waren entsetzt, als sie von der Kampagne erfuhren. „Wir fühlen uns getäuscht“, sagte Museums-Sprecher Arthur Berger bereits im Dezember 2003 der taz. Im Museum habe man nicht damit gerechnet, dass die Bilder für eine derartige Kampagne verwendet werden sollten. Dennoch tourte die Ausstellung durch Amerika. Weil sich jüdische Verbände empörten, warb Peta mit angeblich jüdischen Unterstützern.

In Europa sollen die Holocaust-Plakate ebenfalls reisen – durch elf Großstädte. Kaum ein Tierschutzverein verurteilte die Kampagne bisher öffentlich. Vegetarier und Veganer hielten sich mit Kritik ebenfalls zurück – aus Angst, die eigenen Anhänger zu verprellen. Stuttgart ist die einzige deutsche Stadt, in der die Plakate zu sehen sein werden. Peta reist dann unter anderem nach Zürich, Mailand, Zagreb und Amsterdam.

Peta ist schon vor Beginn der Kampagne mit dem Ergebnis zufrieden. „Wir haben viele Leute aufgeweckt“, sagt Ullmann. „Durch die Berichterstattung über unsere Plakate interessieren sich jetzt sehr viele Menschen für vegane Ernährung.“

Auch eine bundesweite Unterschriftensammlung von Bioläden gegen die Kampagne von Peta war nicht allzu erfolgreich. Ein paar hundert Unterschriften zählten die Initiatoren vom Berliner Bioladen Kraut & Rüben und schickten sie an Peta. „Wir nehmen die Zuschriften ernst“, sagt Harald Ullmann. „Aber sehr große Ablehnung schlägt uns offensichtlich nicht entgegen.“

DANIEL SCHULZ