„Stahlnetz“ geht in Rente

Mit der Zweitauflage der legendären Krimi-Serie aus den Kindertagen des westdeutschen Fernsehens ist nach vier Jahren endgültig Schluss. Die Filme wirkten ohnehin meist wie aus der Zeit gefallen („Stahlnetzt: Ausgelöscht“, So., 20.15 Uhr, ARD)
von CHRISTIAN BUSS

Was müssen das für schlechte Zeiten sein, wenn selbst verdiente Hauptkommissare betteln gehen? Leo Maybach (Hermann Beyer) möchte eigentlich in Rente gehen, da wird ihm noch mal ein Fall übertragen. Aber das freie Honorar, das er für die unfreiwillige Lebensarbeitszeitverlängerung einfordert, will man ihm nicht zahlen. Natürlich klärt er das Verbrechen trotzdem auf.

Mit „Ausgelöscht“ läuft am Wochenende endgültig die Krimi-Serie „Stahlnetz“ aus, die zwischen 1958 und 1968 Traumquoten bis zu 90 Prozent einfuhr – die aber nach ihrer Reaktivierung vor vier Jahren stets etwas aus der Zeit gefallen wirkte. Dass den Ermittler in der Abschiedsfolge dieses TV-Relikts aus einer prosperierenden Ära nun auf einmal der frostige Atem der bundesrepublikanischen Gegenwart anhaucht, in der man das Rentenalter hochsetzen und bei den Sozialleistungen sparen will, erscheint da als sinnfälliges Detail. Hauptkommissar Maybach ist müde, und mit erschöpfter und eintöniger Stimme berichtet er aus dem Off vom Verlauf der Untersuchungen. Denn so war es schon in den Anfangstagen von „Stahlnetz“: Alle Fälle, so hieß es, seien wahr, und der jeweilige Ermittler kommentierte seine eigenen Nachforschungen. Konzipiert worden war die Serie einst von Regisseur Jürgen Roland und Autor Wolfgang Menge als Mischung aus Reportage und Fiktion – eine Idee, die sich grundsätzlich wieder großer Beliebtheit erfreut.

Vielleicht war dies auch einer der Gründe für den NDR, die Serie Ende der Neunzigerjahre zu neuem Leben zu erwecken: Schließlich hatte man mit dem „Stahlnetz“ schon in der Gründerzeit des deutschen Fernsehens ein Format entwickelt, das sich nun auf einmal wieder – wenn auch in pervertierter Form – als erfolgreich erwies. Könnte man den Thrill authentischer Verbrechen nicht in verantwortlicherer Art und Weise verbreiten als in den gerichtsshowverseuchten Nachmittagsprogrammen oder in den Doku-Soaps der Privaten? Tatsächlich bemühte man sich in den jüngeren Folgen die Wirklichkeit abzubilden. Für die „Stahlnetz“-Produktion „Innere Angelegenheiten“ mit Stefanie Stappenbeck etwa wurde 2001 – wie später auch im grimmepreisgekrönten Drama „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ – recht überzeugend der aktenkundige Fall einer gemobbten Polizistin aufbereitet.

Allerdings kollidierten solche Ambitionen schon mal mit den anachronistisch anmutenden Inszenierungsvorgaben der Serie. Die überhitzten Bläser der Erkennungsmelodie etwa klingen für junge Ohren – im Gegensatz zu den immer jungen Souljazz-Fanfaren des konkurrierenden Tatort – parodistisch. Dass der NDR nun die überwiegend in Hamburg gedrehte Serie auslaufen lässt, ist also verzeihlich. Zumal die ARD-Anstalt damit die Dezentralisierung ihrer Krimi-Produktionen vorantreibt: Die frei werdenden Sendeplätze kommen dem schon angelaufenen niedersächsischen Tatort mit Maria Furtwängler sowie dem im Herbst startenden Kieler Tatort zugute, in dem dann Axel Milberg agiert. Und mit Henry Hübchen ist bald noch ein viel versprechender neuer Ermittlerdarsteller beim ebenfalls unter NDR-Aufsicht gedrehten Schweriner „Polizeiruf“ zu sehen. So werden die Nichtmetropolen im Sendegebiet gestärkt.

Allerdings verwundert es dann doch, wie sang- und klanglos der NDR das traditionsreiche Format auslaufen lässt. Große Pressemitteilungen, wie sonst bei solchen Anlässen üblich, wurden nicht verschickt. Aber das passt ganz gut zur Stimmung dieser zwar etwas wirr konstruierten, aber hübsch inszenierten Abschiedsvorstellung: Der Beamte Maybach räumt am Ende ungerührt seinen Schreibtisch, um den Lebensabend damit zu verbringen, Modellkirchen zu basteln. Na, wenigstens ist ihm seine Pension sicher.