: „Die Stimmung ist günstig“
Gibt es in Berlin bald ein linkes Wahlbündnis? Der Politologe Gero Neugebauer hält die Gründung eines Protestbündnisses nicht für aussichtslos, findet aber das Thema Bankenskandal zu kurzatmig
INTERVIEW A. WOLTERSDORF
taz: Linke Gruppen wollen mit einem Wahlbündnis bei der Wahl 2006 den rot-roten Senat ausbooten. Ist das Quatsch oder aussichtsreich?
Gero Neugebauer: Ein Wahlbündnis kann Aussicht auf Erfolg haben. Es muss aber lange genug existieren, um die WählerInnen auf sich aufmerksam machen zu können. Dazu bedarf es eines Programms, der Kompetenz und wählbarer Personen.
Die Personen sind noch nicht bekannt. Die Aktivisten, wie zum Beispiel der ehemalige Kreuzberger PDS-Kandidat Michael Prütz, diagnostizieren in Berlin ein Vakuum links von der SPD. Gibt es das?
Theoretisch gibt es links der SPD ein Vakuum. Mit dem Gang der SPD und der Grünen in die Mitte hätte die PDS ihren Platz finden können. Aber dem ist nicht so. Mancher betritt die Bühne, und das Publikum hat das Theater schon verlassen.
Sie meinen, das Wahlbündnis ist eine Folgeerscheinung des Versagens der PDS?
Ja, die PDS hat eines ihrer Ziele, nämlich linken, sozialen Protest zu sammeln, nicht erreicht. Die PDS tritt in Regierungsbeteiligungen sehr pragmatisch auf und stellt sich damit selbst ruhig – oder absolviert erst mal eine Ausbildung im Regieren.
Sind die Linken, Enttäuschten dann die potenziellen WählerInnen eines Bündnisses?
Die Zielgruppe sind natürlich enttäuschte SPD- oder Grünen-Wähler oder Gewerkschaftsnahe. Solche Bündnisse können jedenfalls nur auf das Protestpotenzial abzielen. Das lässt sich auf Landesebene leichter organisieren als bundesweit.
Haben Wahlbündnisse in der Bundesrepublik schon mal nennenswerte Erfolge gehabt?
Unterhalb der Fünfprozenthürde ja, darüber nein. Es gibt Parteien, die auf der Landesebene erfolgreich waren. Ein jüngstes Beispiel ist die Schill-Partei, davor die Statt-Partei.
Was unterscheidet eigentlich ein Wahlbündnis von einer Ein-Anliegen-Partei wie zum Beispiel der Partei der Autofahrer?
Da gibt es keinen Unterschied. Ein Wahlbündnis konzentriert sich ebenfalls auf ein Thema, in diesem Fall die unsozialen Maßnahmen des rot-roten Sparsenats. Die Ein-Anliegen-Partei, das sind häufig Listen, die auf kommunale Wählervereinigungen zurückgehen, thematisiert sicherlich ein Problem, das viele WählerInnen verärgert. Aber wenn das kein realer Konflikt ist, der es möglich macht, sich auf Dauer zu organisieren und man auf ProtestwählerInnen angewiesen bleibt, wird das schwer. Die kritischen Stammwähler, die man ja eigentlich haben will, kommen so nicht.
Wie viel Mobilisierungspotenzial schreiben Sie dem Thema Bankenskandal und seinen Folgen zu?
Erste Voraussetzung zum Erfolg: Die WahlerInnen müssten feststellen können, wie der Bankenskandal ihre individuelle Lage beeinflusst. Und inwieweit sich daraus die Notwendigkeit einer neuen Partei ableitet. Zweite Voraussetzung: Haben die Personen genügend Kompetenz, das Problem zu lösen? Dritter Punkt: Reicht es den Berliner WählerInnen, nur das Thema Bankenskandal zu haben? Für viele wird das nicht reichen.
War die Voraussetzung damals bei der Gründung der Grünen nicht ähnlich?
Die Alternative Liste ist entstanden aufgrund eines wirklich relevanten Konflikts, nämlich dem zwischen Ökonomie und Ökologie. Eine solche Bedeutung hat der Bankenskandal jedenfalls nicht.
Wie günstig ist die Stimmung in Berlin für eine mögliche Protestpartei?
Die Unzufriedenheit mit der Politik des rot-roten Senates ist überwältigend. Insofern muss ich sagen, die gegenwärtige Stimmung ist günstig.
Nehmen wir an, bei der Wahl 2006 schafft es das Bündnis ins Abgeordnetenhaus. Wie lang ist die Halbwertszeit solcher Formationen?
Es ist denkbar, dass sich ein solches Bündnis eine Legislaturperiode lang im Abgeordnetenhaus hält. In der Regel können populistisch agierende Parteien oder Bündnisse nicht länger existieren.
Allein der Wahlkampf wird schon Mittel verschlingen, die eine so junge Gruppierung möglicherweise gar nicht hat.
Professionelles Campaigning kann man als Amateur nicht machen, da muss man Agenturen haben. Ich sehe im Augenblick jedoch nicht, dass der Bankenskandal so viel Betroffenheit bei den BerlinerInnen auslöst, dass es genug ehrenamtliches Engagement geben wird, wie es im Wahlkampf erforderlich ist.