: Das Double bleibt möglich
Werder Bremen tut sich gegen Zweitligist VfB Lübeck schwer, kommt in der Verlängerung aber doch noch zu einem 3:2-Sieg. Nach der Meisterschaft darf nun auch noch vom Pokalsieg geträumt werden
AUS BREMEN MARKUS JOX
Als es schon fast Mitternacht geworden war im Presseraum des Bundesliga-Tabellenführers Werder Bremen, da war es höchste Zeit für ein Hohelied auf die Moral. Eine ebensolche hätten die Bremer Spieler eindrucksvoll unter Beweis gestellt, waren sich Trainer Thomas Schaaf und sein Sportdirektor Klaus Allofs einig. Und nur mit dieser tollen „Moral“, unbändigem Siegeswillen und einem „Sich-nicht-Abfinden“ mit Rückständen sei es möglich gewesen, den Fünfzehnten der zweiten Fußball-Bundesliga, den VfB Lübeck, im Halbfinale um den DFB-Pokal mit 3:2 nach Verlängerung zu bezwingen. Ende Mai nun spielt Werder zum achten Mal ein Pokalfinale.
39.000 Zuschauer im Stadion und, laut ZDF, knapp 10 Millionen Zuschauer vor der Glotze hatten zuvor 120 mitreißende Fuball-Minuten erlebt. Während das Vergnügen der Fernsehkonsumenten allein durch die Moderatoren Johannes B. Kerner und Firle-Franz Beckenbauer („Die Chancen von Lübeck liegen höchstens bei drei Prozent“) beeinträchtigt worden sein dürfte, mussten die Fans vor Ort den pentrant-überflüssigen Hinweis auf der Anzeigetafel ertragen, dass Werder Bremen den Telefonanbieter gewechselt habe, und man sich das doch, bitte schön, ebenfalls überlegen solle.
Den Lübeckern war das schnuppe – allenfalls zehn Minuten lang zeigten sie Respekt vor Werder Bremen, dann gingen sie 1:0 in Führung – und spielten auch in der Folgezeit rotzfrech und taktisch hervorragend mit. Vor allem Abwehrspieler Timo Achenbach, der häufig gefährlich vor dem Werder-Tor auftauchte, und Torhüter Mike Wilde, machte eine Riesen-Partie.
Das führte dazu, dass es spätestens ab der zweiten Halbzeit im Stadion kaum noch jemanden auf den Sitzen hielt. „Das war hier südamerikanische Begeisterung“, rieb sich Werders Siegtorschütze Nelson Valdez aus Paraguay hernach ungläubig die Augen. Fast 10.000 aus Lübeck angereiste VfB-Fans lieferten der Bremer Ostkurve – parallel zum überaus fairen Geschehen auf dem Spielfeld – ein mitreißendes Duell. Beide Blöcke leuchteten in den identischen Vereinsfarben Grün und Weiß: Auf der einen Seite die Lübecker mit einer großen Banderole „Die Königin der Hanse gibt sich die Ehre“ und mit gellend lang gezogenen „Lüüüüübeck“-Schreien; gegenüber die Bremer Fans mit einem anfangs noch kräftig-entschlossenen, während des Spiels mitunter etwas zaghafter daherkommenden „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“. Gewürzt mit Toren, Spannung und Emotionen war das Halbfinale exakt die Art von Spiel, die das Floskelbuch des deutschen Fußballreporters als „Psycho-Krimi“ und als „rauschendes Fußball-Fest“ zu bezeichnen vorschreibt.
Spielerisch lief bei den Bremern nicht viel zusammen: Mit Ausnahme des wacker kämpfenden Abwehrchefs Valérien Ismaël enttäuschte der Meisterschaftsfavorit: Völlig indisponiert agierten Stürmer Ivan Klasnic und der Verteidiger Paul Stalteri, Krisztian Lisztes war ein Totalausfall im Mittelfeld, und auch der viel gerühmte Franzose Johan Micoud schritt zwar stolz, aber saftlos über den Rasen. Die Lübecker Mannschaft wiederum machte die Räume derart geschickt eng, dass dem Bundesliga-Tabellenführer meist nichts anderes einfiel, als den Ball in die eigene Hälfte oder gar zum Torhüter zurückzuspielen. Ailton rannte unermüdlich ins Abseits, trat am Ball vorbei, pumpte die Wangen auf wie ein Blas-Engel, schüttete an der Seitenlinie literweise Getränke in sich hinein – und war doch im entscheidenden Moment zur Stelle. Nach 111 Minuten, als selbst Sportdirektor Allofs, wie er hinterher zugab, die Lübecker schon nach Berlin fahren sah, machte er das 2:2 und traf damit die ausgepumpten, von Krämpfen geplagten Gäste ins Mark.
Lübecks Trainer Dieter Hecking, der unmittelbar vor Werders 3:2 ein „klares, wenn auch nicht absichtliches“ Handspiel von Valdez gesehen haben wollte, tobte und musste mit knallrotem Kopf und unter lauten „Was ist das denn für ’ne Scheiße hier“-Rufen auf die Tribüne, hatte sich auf der anschließenden Pressekonferenz aber schon wieder unter Kontrolle. Ein „Riesen-Kompliment“ müsse er seiner Mannschaft machen, die „eine tolle Leistung abgeliefert und viel Herz gezeigt“ habe.
Werder-Trainer Schaaf wollte und konnte wohl auch Hecking die Höchststrafe nicht verweigern – ein überschwängliches Lob für die unterlegene Elf: Lübeck habe den Mut gehabt, „mit Herz, Leidenschaft und Begeisterung nach vorne zu spielen“, lobpreiste Schaaf den „überzeugenden“ Gegner. Gebracht hat dem das freilich wenig. Denn zum Finale nach Berlin fährt nun doch: Werder Bremen.
Werder Bremen: Reinke - Stalteri (101. Charisteas), Ismael, Krstajic, Schulz - Baumann (83. Borowski), Ernst - Lisztes (96. Valdez), Micoud - Klasnic, AiltonVfB Lübeck: Wilde - Thorwart, Boy, Kullig, Schanda (99. Würll)- Groth (59. Mbidzo), Plaßhenrich - Thioune, Zandi, Achenbach - Scharping (95. Zinnow)Zuschauer: 38.700; Tore: 0:1 Krstajic (11./Eigentor), 1:1 Micoud (54.), 1:2 Zandi (94.), 2:2 Ailton (111.), 3:2 Valdez (114.)