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Archiv-Artikel

Das Rezept für Thüringens Erfolg

Thüringens Grundschüler haben beim bundesweiten Iglu-Lesevergleich am besten abgeschnitten. Das ostdeutsche Bundesland verzeichnet den höchsten Anteil an Spitzenlesern und den geringsten Anteil schwacher Leser unter seinen Viertklässlern. Bereits beim Pisa-Bundesländervergleich der Neuntklässler lag Thüringen in diesem Jahr in der Spitzengruppe.

Warum thüringische GrundschülerInnen so gut lesen können, konnten die Autoren der Iglu-Studie allerdings nicht abschließend klären. Sie lesen genauso gern wie Schüler aus anderen Bundesländern – über 80 Prozent nimmt auch nach der Schule ein Buch in die Hand.

Eine mögliche Erklärung hat der Sprecher des thüringischen Kultusministeriums, Detlef Baer, parat. Thüringens Grundschulen hätten relativ kleine Klassen, wenn auch nicht die kleinsten im Bundesvergleich. Durch den Geburtenknick Anfang der 90er-Jahre hätten sich die Schülerzahlen fast halbiert, während das Lehrpersonal weniger als anteilig reduziert worden sei. Aufgrund dieser „demografischen Rendite“ habe Thüringen eine recht gute Lehrerversorgung pro Kind.

Außerdem habe man die Maßnahmen zur Leseförderung verstärkt, sagte Baer. In Thüringen sei die Stundenzahl im Deutschunterricht sehr hoch und die Lehrer legten ganz traditionell Wert darauf, dass die SchülerInnen richtig lesen lernten. Der Vergleich mit Hamburg zeigt aber schnell, dass der viele Deutschunterricht wohl kaum das Geheimnis hinter Thüringens Leseerfolg darstellt. Zwar absolvieren Kinder in Thüringen insgesamt sehr viele Unterrichtsstunden. Hamburgs Viertklässler aber bilden eines der Schlusslichter der Iglu-Studie, obwohl sie viel mehr Sprach- und Leseunterricht haben .

Thüringens Erfolg hat wohl eher etwas mit den dortigen Grundschulhorten zu tun: In Thüringen sind alle Grundschulen Ganztagsschulen auf freiwilliger Basis. Rund 70 Prozent der SchülerInnen nehmen derzeit die Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag wahr. Mit dem Angebot wollen die Grundschulen Kinder nicht nur aufbewahren, bis die Eltern abends von der Arbeit nach Hause kommen, sondern ihnen auch eine Förderung zukommen lassen, die sie in ihrem Elternhaus nicht erhalten würden. Vielleicht schaffen Kinder in Thüringen es auch deshalb sehr viel häufiger als in anderen Bundesländern, sehr gut lesen zu lernen, obwohl ihre Eltern keinem hochbezahlten Beruf nachgehen und selbst nur wenige Bücher besitzen und lesen. Das thüringische Modell der Ganztagsbetreuung scheint maßgeblich dazu beizutragen, ungleiche Startchancen von Kindern auszugleichen.

Ein anderes häufig vorgebrachtes Argument will Thüringens Kultusminister aber nicht gelten lassen: Das gute Ergebnis sei nur deshalb zustande gekommen, weil in den neuen Bundesländern so wenige Kinder mit Migrationshintergrund wohnten. Die Zahlen klaffen weit auseinander: In Thüringen kommt noch nicht einmal jedes zehnte Kind aus einer Migrantenfamilie, in Berlin hingegen fast die Hälfte aller Viertklässler. Gegenüber der taz sagte Sprecher Baer: „Die Behauptung, Thüringen würde niemals so gut abschneiden, wenn wir einen höheren MigrantInnenanteil hätten, ist rein hypothetisch und lässt sich nicht überprüfen. Wenn wir in Thüringen mehr Kinder mit Migrationshintergrund zu unterrichten hätten, dann würden wir unseren Unterricht darauf einstellen.“ JETTE GINDNER