: Nicht einmal schöner Schein
Colin Powell bleibt kühl bei seinem Berlin-Besuch. George W. Bush dagegen beglückt Roland Koch in Washington mit einer Spontanaudienz
aus Berlin PATRIK SCHWARZ
So hat sich Gerhard Schröder den Tag des diplomatischen Tauwetters nicht vorgestellt. Donnerstag „heute-journal“, Freitag Vormittag Live-Pressekonferenz auf n-tv, dann zugeschaltet zum gemeinsamen Mittagsmagazin von ARD und ZDF – Roland Koch hat das Beste rausgeholt aus dem Berlin-Besuch von US-Außenminister Colin Powell. Im Rücken hatte der Ministerpräsident eines Kleinstaats in der Mitte eines kleinen Staates in der Mitte Europas allerdings einen mächtigen Helfer, genauer gesagt den mächtigsten Mann der Welt.
17 lange Präsidentenminuten schenkte George W. Bush seine Aufmerksamkeit dem CDU-Politiker, der am Donnerstagabend gerade zum Höflichkeits-Termin bei Vizepräsident Cheney im Weißen Haus saß. „Dann ging die Tür auf“, erzählte Koch hinterher mit roten Bäckchen, und herein platzte „der amerikanische Präsident in Person.“ Und es blieb nicht beim Handshake. „Er hat sich einen Stuhl genommen, was gar nicht so einfach war, und sich zu uns gesetzt.“ Der Kurzkontakt beförderte den außenpolitischen Nobody aus dem Main-Taunus-Kreis zu Bushs Sondergesandtem. Nach seinem Gespräch „mit einem anderen Chef eines bedeutenden Staates“ gab der Staatschef Roland Koch der Bundesregierung gleich eine Mahnung mit: Sie müsse zeigen, dass sie nicht an einem Bündnis gegen die USA arbeite.
Einmal mehr bewies Bush, dass Diplomatie die Kombination aus timing, message and publicity ist. Auf dass kein Fischer und kein Schröder in Berlin auf die Idee kämen, den Europa-Freund Colin Powell für sich zu vereinnahmen, sandte der Texaner zwei Signale über den Atlantik: der Chef bin ich – und mit euch rede ich noch lange nicht. Die rot-grünen Regenten trifft diese Nummer umso härter, als der Powell-Besuch sowohl an Substanz wie an schönem Schein zu wünschen übrig ließ.
Gewiss, ein paar Handshakes mit „Colin“ fielen ab für Kanzler und Vizekanzler im Laufe des Tages, sogar von „Freunden und Alliierten“ sprach der Amerikaner – meinte damit aber wohl eher die Staaten USA und Deutschland als die zwei Politiker. An der überragenden Geste aber, die in ihrer Stärke der Tiefe des Zerwürfnisses angemessen gewesen wäre, fehlte es gestern. Im Kanzleramt saßen Fischer und Schröder nur eine gute halbe Stunde mit ihrem Gast beisammen, akkurate Rechner wollen gar auf magere 27 Minuten gekommen sein. Anschließend verkündete Powell auf dem noch regennassen Rasen: „Wir haben über die Meinungsverschiedenheiten der Vergangenheit geredet und über die Ernsthaftigkeit dieser Meinungsverschiedenheiten.“ Auch das klang nicht nach dem Anbruch neuer Zeiten.
Dabei überreichte Gerhard Schröder seinem Besucher gleich zwei Versöhnungsgeschenke: Zugeständnisse in Afghanistan und in der Irakfrage. In Kabul wolle man mit den USA über eine Ausweitung der internationalen Schutzzone über Kabul hinaus sprechen – freilich nur, wie ein Regierungssprecher gleich einschränkte, für zivile Helfer. Am Mandat für die Bundeswehr ändere sich nichts. Gravierender ist da schon, dass der Kanzler umstandslos eine Position räumte, die die Bundesrepublik seit dem Beginn des Irakkriegs vertrat – dass nämlich die UN beim Wiederaufbau des Landes eine zentrale Rolle spielen müsse. Er und der US-Außenminister seien sich einig gewesen, „dass die Sanktionen jetzt keinen Sinn mehr machen und baldmöglichst aufgehoben werden sollen“. Grünen-Chefin Angelika Beer hatte am Morgen im Deutschlandfunk noch „eine Führungsrolle“ für die Vereinten Nationen eingefordert.
Schröder erwähnte die UNO gestern mit keinem Wort mehr. Seine Helferlein beteuern hinterher zwar, das sei nur der Kürze des Presseauftritts geschuldet gewesen, bei dem Fragen nicht zugelassen wurden. Doch sind erst die Sanktionen und damit die Verwaltungshoheit der UNO über die irakischen Öleinnahmen aufgehoben, entfällt das einzige Druckmittel der Weltorganisation, die Kriegsparteien USA und Großbritannien noch zum Verzicht auf ihren Vormachtanspruch zu bewegen (siehe Text unten).
Von Beginn der Amtszeit George W. Bushs an hat die rot-grüne Regierung auf Colin Powell gesetzt. Dass also der Besuch des US-Außenministers in Berlin ohne demonstratives Signal der Herzlichkeit über die Bühne geht, dass zudem nur wenige Stunden vorher der US-Präsident so kalkuliert die Nähe des Schröder-Schrecks Roland Koch suchte, dass Powell einen Zweiertreff zwischen Bush und Schröder dagegen praktisch ausschließt – das schaut alles nicht nach Zufall aus. So liegt die Vermutung nahe, die US-Regierung lasse die Bundesregierung gerne noch ein Weilchen länger in der Position des Bittstellers verweilen. Verhandeln lässt es sich von dieser Ausgangsbasis allemal leichter für Washington.
Und wenn es doch zu einem Gipfeltreffen käme, was hätten sich Kanzler und Präsident denn zu sagen? „Woher soll ich das wissen?“, erwiderte ein ungewöhnlich unduldsamer Karsten Voigt gestern in einer Fernsehsendung. Dann wird der Koordinator für deutsch-amerikanische Beziehungen nachdenklicher. „Vielleicht wissen es die beiden auch noch nicht.“