: Den Galaktischen fehlt Mittelmaß
Real Madrid verliert das spanische Pokalfinale gegen Saragossa und wirft die Frage auf, ob ein Team,das ausschließlich aus Weltklasse und Nachwuchs besteht, wirklich höchsten Ansprüchen genügen kann
BARCELONA taz ■ Die Musik vom Band begann „We are the Champions“ zu spielen, und das war das Signal für die Fußballer von Real Madrid zu verschwinden. Die weißen Trikots schlaff aus den Hosen hängend, Ausdruckslosigkeit in den berühmten Gesichtern, trotteten sie in die Katakomben des Olympiastadions von Barcelona, als der Pokal plötzlich auf sie zuflog. Der Pokal hüpfte in der Luft, gleich war er bei Raúl, Madrids Kapitän. Raúl strengte sich an zu lächeln, aber der Pokal sauste vorbei. Luis Cuartero, Real Saragossas Spielführer, trug ihn. Als er ihn in den Himmel streckte, war von Real schon nichts mehr zu sehen.
Eine Elf, dafür geschaffen, alles zu gewinnen, ist in der Mittwochnacht in Barcelona menschlich geworden. Die 2:3-Niederlage nach Verlängerung gegen das bescheidene Saragossa in einem epischen Pokalfinale um die Copa del Rey beweist zunächst einmal nur, dass auch Galaktische, wie Reals Spieler gerne gerufen werden, schlechte Tage haben. Doch gleichzeitig taucht die Frage auf, ob die Idee von Reals Präsident Florentino Pérez wirklich funktionieren kann: eine Fußballelf zu kreieren, wie man sie noch nie gesehen hat. Der erfolgreichste Klub der Welt jedenfalls spielt in den kommenden Wochen in der spanischen Meisterschaft und Champions League nicht nur um die zwei verbliebenen Trophäen, sondern um die Behauptung des ganzen verwegenen Projekts.
Im Ausland wird ja meist nur die eine, die glamouröse Seite von Pérez’ Unternehmen gesehen: all die hellsten Sterne des Fußballs in ein Team zu stecken, Zidane, Beckham, Figo, Ronaldo. Die zweite, risikoreiche Richtlinie, die der Präsident Trainer Carlos Queiroz vorgegeben hat, besagt, den Rest des Teams radikal mit Jungen aus Reals eigener Nachwuchsschule aufzufüllen. Vier kamen im Pokalfinale zum Einsatz, meist sind es fünf oder sechs. Es ist das Unternehmen eines gelernten Bauingenieurs, der glaubt, eine Fußballelf wie ein Haus konstruieren zu können – mit sturer Logik und Geradlinigkeit, und bislang konnte man nur staunen, wie erfolgreich das einmalige Konzept von Bauunternehmer Pérez in dieser Saison funktionierte: Mit seiner galaktischen Offensivreihe und Verteidigern wie Álvaro Mejía, der Schwierigkeiten hätte, bei Hansa Rostock in die erste Elf zu kommen, oder Raúl Bravo, der letzte Saison bei Leeds auf der Bank saß, führt Real die Liga mit vier Punkten Vorsprung an und steht im Champions-League-Viertelfinale. Dann wurde es Mittwoch – und es ist nicht opportunistisch zu sagen: Irgendwann musste es so kommen.
Mit zwei zischenden Freistößen aus jeweils mehr als 25 Metern, zunächst von Beckham zum 1:0, später von Roberto Carlos zum 2:2, gab Real auch diesem Finale besondere Momente, doch all die Zuckerpässe blieben bloß eitle Kunst, selbst als das heroische Saragossa, in der Primera División tief in den Abstiegskampf verstrickt, nach 67. Minuten wegen eines Platzverweises in Unterzahl spielen musste. Der tapfere Figo dribbelte und dribbelte und suchte vergebens Partner für den entscheidenden Pass, denn Raúl und Beckham, schon seit Wochen außer Form, fanden sie auch im Olympiastadion nicht. Von Zidane gab es wenig zu notieren, Guti flog in der Verlängerung vom Platz, Ronaldo saß verletzt auf der Tribüne. All das kann passieren; bloß wurde diesmal überdeutlich, dass der Trainer wegen Pérez’ radikaler Politik „Nur Superstars und eigener Nachwuchs“ keinen Ersatz für solche Tage hat. Beim AC Mailand sitzen Weltklassespieler wie Rui Costa auf der Auswechselbank, bei Arsenal London Denis Bergkamp; aber Queiroz, der angeblich das bestbesetzte Team der Welt hat, musste Javier Portillo einwechseln; den einzigen Ersatzangreifer, den er hat. Der 21-Jährige trat dann auch auf wie erwartet: überfordert. „Die Mittelklasse stirbt aus bei uns, ich bin der Letzte im Team“, sagt Santiago Solari, Queiroz’ einziger solider Ersatzmann, der deshalb quasi immer spielt, wenn sich eine Stammkraft verletzt, egal auf welcher Position.
In der Tiefe der Nacht suchte Präsident Pérez jedoch erst einmal profanere Gründe für die Niederlage: „Dieser Pokal mag uns einfach nicht.“ Schon seit elf Jahren entschlüpft die Copa del Rey dem neunmaligen Europacupsieger hartnäckig. Vielleicht war auch der Mittwoch nur ein Aussetzer in einem für Real verfluchten Wettbewerb. Vielleicht war es aber auch der Anfang vom Ende eines bewundernswerten Projekts. RONALD RENG