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Archiv-Artikel

Kein genialer Außenseiter

Lust des Hinschauens und Warnung davor: Zum 450. Todestag stellt das Bucerius Kunstforum 60 Arbeiten des malenden Unternehmers Lucas Cranach aus – und der Moderne gegenüber

von HAJO SCHIFF

Lasziv hingegossene Quellnymphen, der Dolch an der Brust der Lucrezia oder nackte Göttinnen: Die Wiederentdeckung der Antike war auch eine Renaissance des Körpers. Das galt selbst für den protestantischen Norden, wie die Bilder des Kursächsischen Hofmalers Lucas Cranach zeigen. Zum 450. Todestag widmet das Bucerius Kunstforum dem 1472 im fränkischen Kronach geborenen und später nach diesem Ort benannten Maler jetzt eine Ausstellung.

Im Vergleich zu den anderen deutschen Malern der Zeit blickt die Kunstgeschichte seit jeher etwas herab auf Cranach, vor allem angesichts der überragenden Gestalt Dürers. Denn anders als dieser hat sich Cranach nicht mit Theorie und mathematischer Konstruktion befasst, selbst seine Akte entstanden ohne Naturstudium. Oft übel angerechnet wird ihm auch der Betrieb einer großen, rein Dekorativem keineswegs abgeneigten Werkstatt. Geradezu geneidet hat man ihm seinen sozialen Status: Der enge Freund Luthers, der es als erfolgreicher Apotheker, Bierbrauer und Bilderfirmenchef zum Bürgermeister brachte, taugt nicht zu Legenden vom genialen Außenseiterkünstler. Andererseits geriet Cranach nie in Vergessenheit, stets schätzten ihn Auftraggeber und Sammler – bis hin zum fanatischen, gemalter nackter Haut sehr zugeneigten Hermann Göring.

Von den etwa 1000 Cranach zuzuordnenden Gemälden sind nun 60 am Rathausmarkt versammelt. Aus der Eremitage in Petersburg gekommen ist der erste lebensgroße Frauenakt, der je nördlich der Alpen gemalt wurde: „Venus und Amor“ von 1509. Doch dem frontal mit nur einem Hauch von durchsichtigem Schleier dargestellten Frauenkörper wird zugleich in lateinischen Versalien die Beischrift zugeordnet: „Bezwinge mit ganzer Anstrengung deine Liebesgelüste, damit nicht Venus dein umnebeltes Herz besitzt“. Wenn gar im Bild „Venus mit Amor als Honigdieb“ der Liebesbote von den aufgeregten Bienen gestochen wird, führt Cranach die Ambivalenz der Erotik vor – zwischen Honig und Stichen, Lust und Leid. Das ist durchaus moralisch gemeint, hat in Zeiten der damals neu aus Amerika importierten Syphilis aber auch einen unmittelbaren Bezug auf die Gefährdungen des Lebens.

Dem Petersburger Bild ist eine großformatige Paraphrase entgegengesetzt, die Picasso 1968 nach einer Abbildung des Bildes malte. Und im Keller belegen weitere 25 Arbeiten von Künstlern der Moderne die Aktualität von Cranachs Bildfindungen. Die begründet sich weniger in seiner manieristischen Formensprache, sondern im raffinierten Spiel mit der Lust des Hinschauens und der gleichzeitigen Warnung davor. Diese Dialektik des Zeigens wurde schon immer im Bereich Pornographie thematisiert, heute meist am Problem der Gewaltdarstellung. Aber auch da ist die Renaissance nicht schlecht: Ist doch die Peinture der Rottöne zwischen samtenem Wams und blutendem Fleisch geradezu bewundernswert.

Modern mutet auch der fast industrielle Betrieb an, mit dem einst den zahlreichen Aufträgen in immer neuen Variationen der gleichen Bildkonstellationen nachgekommen wurde, sowie die Image-Prägung, die die Cranach-Werkstatt für die junge Reformation in der Standardisierung des Lutherbildes durchführte. Doch die Kontexte – von der Antike bis zur philosophisch-politisch-religiösen Wende um 1500 – sind in dem gerade mal schmuckkästleingroßen Bucerius-Ausstellungsraum nur andeutbar. So funktioniert die Schau allenfalls als Einstieg in die im Untertitel angesprochene Thematik „Glaube, Mythologie und Moderne“. Alles weitere müssen Führungen, Vorträge, Seminare oder der Katalog (192 S., 24,80 Euro) ergänzen.

täglich 11–19 Uhr, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2; bis 13. Juli