Der Traum ist aus

Im Kosovo kämpfen wieder Serben und Albaner. Die Zeit des Friedens scheint vorbei

Demonstranten lassen die UÇK hochleben und schreien Parolen gegen die UN-Mission

AUS MITROVICAERICH RATHFELDER

Die Straßen sind noch übersät von Steinen, die albanische Demonstranten während der Unruhen vom Mittwoch auf französische KFOR-Soldaten und internationale Polizisten geworfen haben. Die Menschen in Mitrovica sind erschüttert über das, was vorgefallen ist. Die Ausschreitungen zwischen Serben und Albanern hatten sich am Mittwochabend auf sämtliche serbischen Städte des Kosovo ausgeweitet. 22 Menschen wurden getötet, etwa 500 verletzt.

„Es ist wahr, wir wollten über die Brücke in den Nordteil der Stadt,“ sagt Blerim, ein jugendlicher Kosovoalbaner in Mitrovica. „Wir waren voller Wut wegen der Kinder, auf die Serben am Montag Hunde gehetzt und die sie in den Tod getrieben haben.“ Doch auf der Brücke empfingen die unbewaffneten Demonstranten schon die ersten Schüsse.

„Ich war den ganzen Tag hier“, sagt Manduh Abasi, Reporter der TV-Station Koha Ditore. „Die Demonstranten schleppten Verwundete und die ersten Toten aus der Gefahrenzone. Dann wurde auch von albanischer Seite aus geschossen. Französische KFOR-Soldaten zogen auf und schützten die Serben mit Tränengasgranaten und Gummipatronen. Die serbischen Heckenschützen wurden von den Franzosen nicht behelligt. Es war Krieg.“ Erst am Nachmittag, als US-Soldaten eintrafen, änderte sich die Lage. Die Amerikaner gaben Warnschüsse auch auf die serbische Seite ab, berichten Augenzeugen, bis die Kämpfe abflauten. Aus der spontanen Demonstration der ersten Stunde ist in Mitrovica inzwischen eine fragile Ruhe geworden.

Schon auf einer Demonstration in Priština, an der mehrere tausend Jugendliche teilgenommen hatten, mussten Ordner für Disziplin sorgen. Vor dem Gebäude der UN-Mission ließen die Demonstranten die UÇK hochleben und schrien Parolen gegen die UN-Mission. Die Scheiben eines gegenüberliegenden Lokals, das vor allem von UN-Leuten besucht wird und einem Serben gehört, gingen zu Bruch.

In einem noch von Serben bewohnten Viertel brannten Autos. Womöglich gezielte Aktionen einer verdeckt arbeitenden Organisation, hinter der Veteranen der UÇK im Umkreis der Partei des Hashim Thaci, der PPK, vermutet werden.

„Die Verlierer dieser Vorkommnisse werden vor allem wir Albaner sein,“ sagt Enver Hoxhaj, Universitätsprofessor und Verfechter einer neuen Zivilgesellschaft im Kosovo. Noch wenige Stunden zuvor hatte der in Wien promovierte Enddreißiger mit dem Plan geliebäugelt, eine neue, bürgerliche Partei zu gründen, eine zivile Macht in diesem von nationalistischen Gegensätzen geprägten Land. Er wollte helfen, die von Europäischer Union und vereinten Nationen geforderten Standards durchzusetzen: demokratische Strukturen und ein modernes Rechtssystem. Die aktuellen Ereignisse jedoch hätten die Leute radikalisiert und politische Reformen wieder in weite Ferne rücken lassen, sagt Hoxhaj.

Militante Auseinandersetzungen gab es auch in fast allen anderen Landesteilen, selbst im bisher friedlichen Westen. In Prizren zerstörten Demonstranten das orthodoxe Priesterseminar, weitere Gotteshäuser sollen in der Region gebrannt haben. Auch in Pec, Djakova, Lipljan und bei Gracanica kam es zu Übergriffen albanischer Demonstranten auf serbische Einrichtungen und Enklaven. „Der multikulturelle Traum ist ausgeträumt,“ sagt ein Diplomat.

Die albanische Bevölkerung wolle Veränderungen, sei nicht mehr zufrieden mit der „Verwaltung des Konflikts durch die internationale Gemeinschaft“, erklärt Enver Hoxhaj. Und ruft zugleich zur Besonnenheit auf. Ob der Aufruf fruchtet, ist fraglich geworden. Tatsache ist, dass ein Großteil der Bevölkerung nach dem Rechtsruck in Serbien endlich die Unabhängigkeit Kosovos von Belgrad will und es satt hat, von der UN-Mission gegängelt zu werden. Diese Stimmung greifen die Radikalen auf.

Die KFOR zieht Konsequenzen: weitere Nato-Truppen, zunächst 180 Mann, kommen ins Land. Der Kommandeur der KFOR-Truppen, Holger Kammerhoff, hat die Friedenstruppe ermächtigt, notfalls Gewalt anzuwenden.