crime scene
: Der neue Le Carré

John Le Carré ist ein kalter Krieger, der noch Jahre nach dem Mauerfall die DDR als „widerliches kleines Land“ beschimpfte und den „Kampf gegen den Kommunismus“ predigte. Ein großer Freund Amerikas ist der britische Schriftsteller deswegen allerdings noch lange nicht.

In seinen Spionageromanen rund um den britischen Geheimdienst verteilte er in den Siebzigerjahren Seitenhiebe gegen die hemdsärmeligen Agenten des CIA, später kritisierte er die USA wegen ihres Engagements in Lateinamerika. Kurz vor Beginn des letzten Irakkriegs rechnete Le Carré dann in der Times mit der Bush-Administration ab und sprach gerade erst im Spiegel von einem „totalitären Kapitalismus“ amerikanischer Prägung. Der „war against terrorism“ dient nun als Hintergrund seines neuen Romans „Absolute Freunde“. Kein Wunder ist es da, dass sein Erscheinen äußerst gespannt erwartet wurde.

Es beginnt im Mai 2003 in Deutschland, knapp einen Monat, nachdem der Krieg am Golf für beendet erklärt worden ist. Der Brite Ted Mundy, der in München als Fremdenführer arbeitet, rekapituliert die Zeitungsmeldungen des Tages: „Mr Blair“ ist, wie Mundy spöttisch feststellt, immer noch „zuversichtlich, dass die irakischen Massenvernichtungswaffen in Bälde gefunden werden.“ Die Nachrichtenaktualität hält allerdings nur wenige Seiten an, denn John Le Carré hat für „Absolute Freunde“ einen sehr weiten Bogen gespannt.

Er erzählt ausführlich das Leben und Scheitern Ted Mundys, der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in Pakistan als Sohn eines Kolonialoffiziers geboren wurde. Eine Erziehung in englischen Privatschulen, eine Affäre mit dem Anarchismus und ein wildes Intermezzo mit der Studentenbewegung in Berlin, das ist die erste Hälfte von Mundys Biografie. In der zweiten Hälfte wird er Teil einer „klassischen Doppelagenten-Operation des Kalten Krieges“. Sein Westberliner Freund Sascha ist auf die andere Seite der Mauer gewechselt und macht nun, nachdem seine sozialistischen Hoffnungen enttäuscht worden sind, dem britischen Geheimdienst ein unwiderstehliches Angebot. Bedingung: Mundy soll die Kontaktperson sein.

„Absolute Freunde“ ist mit 425 Seiten ein dickes Buch, aber längst nicht dick genug für die Masse an Stoff, den John Le Carré hier aufbereitet. Mundys Wurzeln im Empire, seine schwierige Freundschaft zu Sascha, dem Nazisohn, die Studentenrevolte, der Kalte Krieg, später die Wiedervereinigung und zuletzt, wie Le Carré das nennt, der „neue Kalte Krieg“ gegen den muslimischen Terror: In „Absolute Freunde“ werden eine Menge Ereignisse aneinander gereiht, ohne aufwändige Zeitsprünge oder Wechsel in der Erzählperspektive. Über weite Strecken ist Le Carrés Buch eher eine halbwegs interessante Chronologie als ein richtig spannender Roman. Das ist kein Vergnügen, selbst dann nicht, wenn Le Carré am Ende seiner langen Reise durch die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder in der Gegenwart ankommt und die USA ihren „kriminellen“ Feldzug gegen den Irak mit anderen Mitteln im Herzen des alten Europas weiterführen lässt.

Dabei gibt es einige wirklich gute Stellen in „Absolute Freunde“. Es finden sich subtile Anspielungen auf Rudyard Kiplings „Kim“, Mundys Geburt am 15. August 1947 fällt mit der Unabhängigkeit Pakistans zusammen, und hier und da fallen Bemerkungen wie die über die Suez-Krise, während der die englische Regierung „damals wie heute das Land hinsichtlich der wahren Kriegsgründe schamlos belogen“ hat.

Das ist der Stoff für einen großen und vermutlich sehr, sehr umfangreichen Roman über das verhängnisvolle koloniale Erbe Großbritanniens und Europas – und damit natürlich auch für einen Roman über Amerika, den 11. September und alles, was danach kommt. John Le Carré wäre eigentlich genau der Richtige, um ihn zu schreiben. KOLJA MENSING

John Le Carré: „Absolute Freunde“, aus dem Englischen von Sabine Roth, List Verlag, München 2004, 425 Seiten, 22 Euro