: Wo der Pulli des Trainers Kult ist
Bremen im Werder-Fieber: Fan-Devotionalien sind ausverkauft, Karten fürs letzte Heimspiel gibt‘s nur noch auf dem Schwarzmarkt. Und Bürgermeister Henning Scherf beschwört die Meisterschaft wie sonst nur seine Sanierungserfolge
Aus Bremen Daniel Schalz
Henning Scherf nervt. Seine Kollegen. „Zu den unmöglichsten Gelegenheit singe ich denen was vor“, sagt er. Es ist die Melodie von „Yellow Submarine“, einem Beatles-Song, mit dem Bremens Bürgermeister Freund und Feind malträtiert: „Deutscher Meister wird nur der SVW, nur der SVW, nur der SVW ...“ Der Spott, den er für sein Gesinge erntet, kümmert Scherf nicht. Er ist überzeugt davon, dass „seine Bremer“ am 30. Mai auf dem Rathausbalkon dem freudetrunkenen Volk Pokal und Meisterschale präsentieren werden. „Diesmal sind wir’s!“ Und glaubt, dass er mit seiner Begeisterung in Bremen nicht alleine ist.
Franzosen fürs Fotoalbum
Bremen im Fußball-Fieber? Beim ersten Training nach dem Pokalhalbfinale gegen Lübeck verlieren sich gerade mal zwanzig Zaungäste auf dem Gelände. Zwei Fernsehteams und einige Journalisten sind da. Als Johan Micoud und Valérien Ismaël nach einer Stunde auf Französisch fachsimpelnd den Platz verlassen, stürmt eine junge Frau auf sie zu. „Ein Foto, ein Foto, bitte!“ Sie bekommt es, was sie hernach zu einer Reihe von Freudensprüngen veranlasst. Für ihre Freundin bleibt nur der Torwart Andreas Reinke übrig. Sie macht keine Freudensprünge.
Nach dem Training erzählt Micoud den Journalisten, dass der „Support“ des Publikums – er gibt Interviews auf Englisch – am Dienstag beim Pokalhalbfinale „fantastic“ gewesen sei. Nun wolle man die Meisterschaft für die Fans gewinnen. Sportdirektor Klaus Allofs spricht von der Gänsehaut, die er im Stadion regelmäßig bekomme.
Schaaf meidet Innenstadt
Trainer Thomas Schaaf spürt „eine unheimliche Identifikation der Bremer mit der Mannschaft, mit den einzelnen Spielern“, die noch nie so gut rübergekommen sei wie gegen Lübeck: „Da ist ein unglaublicher Glaube in dieses Team, eine unwahrscheinliche Hoffnung.“ Zu seinen Zeiten als Spieler habe er so eine Begeisterung niemals erlebt. Wenn er und Co-Trainer Kalli Kamp „den Deich entlanghumpeln“ (O-Ton Schaaf), dann würden ihn die Leute auf dem Fahrrad überholen und rufen: „Mensch, toll!“ Wie die Stimmung in der Innenstadt sei, könne er dagegen nicht sagen: „Da gehe ich nur hin, wenn die Geschäfte geschlossen haben.“
Am Rathaus stehen drei Touristen und diskutieren, auf welchem der beiden Balkone die Mannschaft bei der Meisterfeier stehen wird. Der Sprecher einer Tombola trägt ein T-Shirt mit Micoud-Konterfei zur Schau. Kurz darauf kommt einem schon ein druckfrisches neues Shirt mit dem DFB-Pokal entgegen. Bereits 15 Stück sind davon binnen kürzester Zeit am Vormittag nach dem Lübeck-Spiel im Werder-Fan-Shop verkauft worden. Die „Papageien“-Trikots sind dagegen schon seit längerem ausverkauft. „Am Anfang fanden das Orange alle schrecklich“, sagt die Verkäuferin, „inzwischen kommen wir mit dem Nachbestellen nicht mehr hinterher – Wahnsinn, was hier los ist!“ Auch Verkaufs-Hit Nummer zwei ist nicht mehr vorrätig. Laut Katalog heißt dieser „Sweatjacke Kappa“, doch in ganz Bremen läuft der sackartige graue Kapuzenpulli mit großem „WERDER“-Schriftzug schlicht als „die Thomas-Schaaf-Jacke“ – das Kult-Teil ist kaum noch zu kriegen. Werder sells.
In Windeseile ausverkauft
Aber die Bremer wollen nicht nur denselben Pulli wie ihr Trainer tragen, sie wollen auch live dabei sein, wenn sich Werder zu Ruhmestaten aufschwingt – wie zu „König Ottos“ Zeiten. Das letzte Heimspiel am 15. Mai gegen Leverkusen war binnen vier Stunden ausverkauft, auch für das vorletzte gegen den HSV gibt es längst keine Karten mehr. Die Vorbestellungen für die letzten beiden Auswärtsspiele in München und Rostock füllen mittlerweile acht dicke Aktenordner.
Henning Scherf wird keine Probleme haben, an Karten zu kommen. Stattdessen konnte er schon einmal mit einer F-Jugend-Mannschaft des FC Mahndorf im Rathaus die Meisterfeier proben. Es gab einen Milchempfang, Ailton trug sich ins goldene Buch der Stadt ein und dann ging’s raus auf den Balkon. Es war fast alles so, wie es sein soll, am 30. Mai. Nur das Singen hat sich der Bürgermeister diesmal für die richtige, die echte Feier aufgehoben. Was an diesem Tag wohl ausnahmsweise niemanden nerven würde.