: Immer mit der Ruhe
Wer nachts aufwacht, sollte sich nicht ärgern: Der „kleine Bruder des Todes“ führt ein bewegtes Leben, das ihn zuweilen schwächeln lässt. Das Schlaflabor des Diakonie-Klinikums Alten Eichen rückt ihm mit technischer Finesse auf die Pelle
von Gernot Knödler
„Der Schlaf ist wie ein Schmetterling: Wenn man ihm die ausgestreckte Hand ruhig hinhält, lässt er sich darauf nieder. Versucht man, ihn zu packen, flattert er davon.“ Der Mann, der dieses Bild benutzt, muss es wissen. Jörg Putensen ist Oberarzt am schlafmedizinischen Zentrum des Diakonie-Klinikums Alten Eichen. Hierher kommt, wer partout nicht einschlafen kann, wer nachts ständig aufwacht oder wer tagsüber so müde ist, dass er auf der Autobahn dem tödlichen Sekundenschlaf verfällt.
Nach Angaben der Diakonie behaupten 40 Prozent aller Deutschen, schlecht zu schlafen. Zehn Prozent leiden nach Schätzung von Medizinern unter behandlungsbedürftigen Schlafstörungen. Allein in Hamburg gibt es ein halbes Dutzend Labore, in denen der Schlaf physikalisch gemessen wird. Mehr als 80 Krankheitsbilder haben die Ärzte definiert: von den allseits bekannten Ein- und Durchschlafstörungen über rhythmisches Bewegen der Beine („restless legs“) bis hin zu Atemaussetzern (Apnoe). Von der laut Putensen „boomhaften Entwicklung“ des Fachs profitieren die Patienten. Der Schlafmittelverbrauch gehe seit 1995 zurück, sagt seine Kollegin Monika Kohlhage.
Per EEG wird gemessen, wie gut einer schläft
Der differenzierte Umgang mit Schlafstörungen spiegelt sich in dem vielfältigen Beratungs- und Behandlungsangebot des Schlafmedizinischen Zentrums. Mittwochs von 15.30 bis 16.30 Uhr betreuen dessen Ärzte ein Schlaftelefon (☎ 54 87 20 83), an dem sie Patienten den passenden Arzt oder Therapeuten nennen. In der darauf folgenden Stunde kann man sich für 15 Euro persönlich im Klinikum beraten lassen. Neben dem Schlaflabor gibt es noch eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit Atemaussetzern sowie eine Schlafschule, deren Kosten manche Kassen erstatten.
Voraussetzung für eine Therapie ist die Vorstellung davon, was ein gesunder Schlaf ist. „Früher hat man gedacht, da wird nur ein Schalter umgelegt“, sagt Putensen. Heute stellen die Ärzte durch Messen der elektrischen Aktivität des Gehirns – per Elektroenzephalogramm (EEG) – fest, wie einer schläft. „Wir durchlaufen beim gesunden Schlaf vier bis fünf Perioden von rund 90 Minuten Dauer“, sagt Putensen. Sie lassen sich ablesen an der Frequenz und der Amplitude der Spannungsänderungen im Gerhirn. Je breiter und höher die Wellen, desto tiefer der Schlaf.
Schematisiert geht es stufenweise hinab in den Tiefschlaf und dann mit einem Sprung in die REM-Phase, in der der Mensch träumt. REM – die Abkürzung für Rapid-Eye-Movement – lässt sich am heftigen Zucken der Augenmuskeln erkennen. Hier kann es sogar geschehen, dass der Mensch aufwacht, ohne sich dessen bewusst zu werden. Um zu verhindern, dass er seine Träume ausagiert, erschlafft seine Muskulatur in dieser Phase. Menschen, bei denen das nicht funktioniert, greifen schon mal ihre Bettgenossen an.
EEG und REM sind zwei von 16 Parametern, die im Schlaflabor von Alten Eichen gemessen werden. Eine halbe bis dreiviertel Stunde dauert es, bis der Patient vor dem Schlafengehen verkabelt ist. Sensoren messen den Luftstrom an der Nase, den Sauerstoffgehalt des Blutes, die Spannung der Rachenmuskulatur und ob sich der Brustkorb hebt und senkt. Ergänzend registriert ein Mikrofon Husten, Schnarchen, Störgeräusche. Eine Infrarotkamera zeigt, was der Proband während der Nacht treibt. In der Regel reichen ein bis zwei Nächte in den karg ausgestatteten Schlafzimmern, um ein klares Bild vom Schlaf des Patienten zu bekommen.
Die Maschinerie ist dazu da, das zu ergründen, was die Patienten nicht wissen können, weil sie schlafen. „Das Hauptproblem, mit dem die Leute ins Schlaflabor geschickt werden, ist übergroße Müdigkeit tagsüber“, berichtet Kohlhage. Auslöser dafür kann eine Apnoe sein, wie sie bei zwei bis vier Prozent der Deutschen auftritt: Wie andere Muskeln erschlafft im Schlaf der Schlund. Das kann so weit gehen, dass das Gewerbe im Atemstrom schlackert und der Patient in anderen Worten schnarcht. Im Extrem fällt der Schlund in sich zusammen und das saugende Zwerchfell zieht ihn zu. Verständlich, dass es beunruhigend ist, neben einem japsenden Scharcher zu liegen.
Wer so schläft, strengt sich die ganze Nacht über an und muss doch mit einem Sauerstoffdefizit zurechtkommen, das die Organe schädigt. Außerdem ist er um einige der Backups gebracht, die sein Körper im Schlaf bewerkstelligt. Denn der verfestigt im Tiefschlaf zum Beispiel das Gedächtnis. Der Körper betreibt ungestört Immunabwehr, setzt Botenstoffe frei und versichert sich in den REM-Phasen seiner motorischen Fähigkeiten.
Während die Ärzte einer Apnoe mit Hilfe einer Atemmaske leicht beikommen, sind Ein- und Durchschlafschwierigkeiten schwieriger zu behandeln. Das beginnt damit, dass die subjektive und die objektive Bewertung des Schlafs und des Befindens am Tag weit auseinander klaffen können. „Es gibt Patienten, die sagen, seit fünf Jahren schlafe ich nur zwei Stunden pro Nacht, und der Schlaf ist gar nicht so schlecht“, erzählt Kohlhage. Andererseits gebe es Menschen wie Berufskraftfahrer, die gerne verdrängten, wie müde sie tagsüber sind. Mit Reaktionstests können die Ärzte diese Selbsteinschätzung widerlegen.
„Der Schlaf ist der Seismograph der Seele“
„Der Schlaf ist der Seismograph der Seele“, sagt Kohlhage. Viele Menschen nehmen die Anspannung des Tages mit in die Nacht. Sie liegen im Bett, wälzen ihre Probleme und sich gleich mit. Wer dabei auch noch anfängt, sich darüber zu ärgern oder davor zu fürchten, ist auf dem besten Wege, ein Fall für Kohlhages Schlafschule zu werden. „Je mehr ich den Schlaf erzwingen will, desto weniger kann ich schlafen, übersetzt sie das Bild mit dem Schmetterling.
Nach einer Weile spannt sich der Patient in einem Pawlowschen Reflex an, sobald er im Bett liegt. Die Ärzte nennen das „schlechte schlafhygienische Gewohnheiten annehmen“. Für schwere Fälle hat der Regensburger Forscher Jürgen Zulley einen mehrstündigen Kurs entwickelt, der mit den Mythen vom Schlaf aufräumt und spezielle Entspannungsübungen lehrt.
Denn mancher hat schlicht überzogene Erwartungen an einen gesunden Schlaf nach dem Muster: „Jeder Mensch muss acht Stunden schlafen.“ Kohlhage nennt das „dysfunktionale Gedanken“. Tatsächlich brauchen verschiedene Menschen unterschiedlich viel Schlaf und mit zunehmendem Alter immer weniger. „Ab 40 geht‘s bergab“, sagt die Ärztin. Wir schlafen weniger, träumen weniger und wachen häufiger auf – bis zu 28-mal pro Nacht, meist unbewusst. An sich sei das kein Problem, sagt Kohlhage: „Nur wenn man auf die Uhr guckt und sich aufregt, wird es krankhaft.“