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Archiv-Artikel

Integration ausgebremst

Die Flüchtlingsunterbringung am Hemmingstedter Weg wird zur Jahresmitte geschlossen. In drei Monaten eine neue Unterkunft zu finden, scheint vielen der 350 BewohnerInnen unmöglich

von ANNIKA NOFFKE

Der kleine Raum im Blauen Haus der Unterbringung am Hemmingstedter Weg ist gefüllt. Viele BewohnerInnen wollen Pastor Ingo Lemke ihre Sorgen schildern. Am Mittwoch haben sie den schriftlichen Bescheid des verantwortlichen Trägers „pflegen & wohnen“ erhalten: Das Pavillondorf wird zum 30.6. geschlossen.

Auch einige Mitglieder der Gruppe „Brückenschlag“ sind gekommen, einer Initiative von AnwohnerInnen, die sich seit Jahren für die Flüchtlinge engagiert. Deutschunterricht und Hausaufgabenhilfe, gemeinsame Ausflüge und Feiern – ein vorbildliches und gut funktionierendes Netz ist hier im Laufe der Zeit entstanden. „Hier ist es wunderbar“, sagt Azim Naser, ein Usbeke aus Afghanistan, der gar nicht verstehen kann, warum ausgerechnet diese Unterbringung geschlossen werden soll. „Vorher wohnten wir an der Reeperbahn direkt zwischen zwei Bordellen“, erzählt der 17-Jährige, „keine gute Umgebung für eine Familie mit fünf kleinen Kindern.“ Die Kinder besuchen nun Schulen in der Umgebung, „sogar mit teilweise sehr gutem Erfolg“, bestätigt eine Nachbarin. Und sie gibt zu bedenken: „Sie haben in der Schule Freundschaften geknüpft, auch mit deutschen Kindern. Man darf sie aus diesem Umfeld nicht herausreißen.“

Viele Familien, die nur einen Duldungsstatus besitzen, haben nun Angst, in eine der Massenunterbringungen gesteckt zu werden. So auch eine iranische Familie, deren Vater noch im Iran lebt. Die Familie kann daher auf keinen Fall mit fremden Männern zusammenwohnen. Die Eltern von Meysam Pashai sind gehörlos. „Wenn nachts jemand in der Wohnung herumgeht, merken sie die Schritte und können nicht mehr schlafen“, berichtet der 12-Jährige. „Eine Gemeinschaftsunterbringung ist für uns unvorstellbar.“

Die Unterkunft Hemmingstedter Weg wurde 1990 gegründet, im Vergleich zu den Gemeinschaftsunterkünften und Hotels ist sie laut Pastor Lemke eine bessere Wahl: „Die Häuser sind in Ordnung, die Schulen arbeiten zusammen, die grüne Umgebung ist besonders geeignet.“ Es dürften nicht einzelne Stadtteile überproportional von Flüchtlingen bewohnt werden. „Wir brauchen eine ausbalancierte Verantwortung der Stadtteile, eben auch der besser gestellten wie Groß Flottbek.“

Am Hemmingstedter Weg leben gut 350 Personen, die Hälfte davon sind Russlanddeutsche. 200 von ihnen besitzen einen Wohnungsberechtigungsschein. Auch diese Spätaussiedler, die sich eine Wohnung suchen dürfen, haben Angst. Ein altes Ehepaar hat bereits 30 Wohnungen besichtigt und für keine einen Zuschlag bekommen. Die Flüchtlinge hätten zum Schließungsbescheid lediglich eine Liste von Wohnungsgesellschaften bekommen, empört sich eine Nachbarin. Katrin Rump von „pflegen & wohnen“: „Wir werden im Gespräch mit den Familien die bestmögliche Unterkunft suchen, natürlich am ehesten im Bezirk.“

„Pflegen & wohnen“ habe in solchen Fällen einen guten Ruf, sagt Oliver Klessmann, Sprecher der Sozialbehörde. Innerhalb von drei Monaten eine Wohnung zu finden, erscheint trotzdem vielen unmöglich. Die 7-köpfige Familie von Atifa Mohtassebzadeh sucht bereits seit 2001 mit §5- und Dringlichkeitsschein ein neues Heim. Immer wieder wurde ihr mit dem Hinweis auf die Familiengröße abgesagt. Doch drei oder mehr Kinder sind bei den meisten Flüchtlingsfamilien die Regel.

Brückenschlag hat sich bereits an den Bürgermeister gewandt. Dieser freue sich zwar über das Engagement der NachbarInnen, verweist jedoch an seine Sozialsenatorin. Klessmann für die Behörde: „Die Flüchtlingszahlen sind um ein Drittel gesunken, da muss eben geschlossen werden. Welche Heime betroffen sind, steht bereits seit Dezember 2003 fest.“

Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Hans-Detlef Roock (CDU) hat sich für die Schließung eingesetzt. Er weist darauf hin, dass die Vorgänger-Senate ihr „politisches Versprechen mehrfach gebrochen“ hätten: Die Unterbringung sollte ursprünglich auf fünf Jahre befristet für Aus- und Übersiedler eingerichtet werden. Immer wieder sei die Frist verlängert worden. „Es gibt im Hemmingstedter Weg zwar keine konkreten Probleme, aber wir müssen die Glaubwürdigkeit in die Politik zurückbringen.“