: Aufbruchstimmung empfindlich gestört
Ein absurder Streit um das Trainergespann der deutschen Meisterin Annette Dytrt sorgt vor dem Start der Eiskunstlauf-WM in Dortmund für Unruhe im Verband und trübt die Hoffnung, dass es langsam wieder aufwärts geht
MÜNCHEN taz ■ Vielleicht ist Alexander Wedenin ein bisschen stur, das ist schon möglich, das bestreitet er gar nicht. Ende Februar jedenfalls hat der Eiskunstlauftrainer entschieden, all die kleinen und großen Schikanen nicht länger zu ertragen. „Natürlich“, sagt er, „der Zeitpunkt der Kündigung ist eine Katastrophe.“ Wenn er die ganze traurige Geschichte erzählt, in einer Münchner Eishalle, mit seinem harten russischen Akzent, dann bekommt sie eine existenzielle Schwere: „Aber wir mussten das tun – um zu überleben.“
Am Montag beginnt in Dortmund die Eiskunstlauf-WM. Für Annette Dytrt aus München, gerade deutsche Meisterin geworden, sollte sie der Höhepunkt der Saison werden. Doch nun haben ihre beiden Trainer, Wedenin und Shanetta Folle, beim Bayerischen Eissport-Verband (BEV) gekündigt, verbunden mit Mobbingvorwürfen gegen die örtlichen Funktionäre. „Ich finde es traurig, dass man meine Trainer so weit gebracht hat“, sagt Dytrt. Wo die 21-Jährige in Zukunft leben und trainieren wird, weiß niemand. Mitten in der WM-Vorbereitung bleibt ihr nur, „nicht zu viel darüber nachzudenken“.
In München, klagt Wedenin, wollten „unprofessionelle Leute professionellen Leistungssport leiten“. Der Vorwurf richtet sich vor allem an Sissy Krick, Eiskunstlauf-Obmann im BEV und Vizepräsidentin der Deutschen Eislauf-Union (DEU). Wedenin und Folle würden aus Landesmitteln bezahlt, klagt sie, vernachlässigten aber die bayerischen Kader-Athleten. Stattdessen kümmerten sie sich zu viel um Dytrt und den zweiten Münchner Topläufer, Andrejs Vlascenko. Darüber, dass erst die intensive Betreuung Dytrt zum Aushängeschild des deutschen Eiskunstlaufens gemacht hat, verliert Krick kein Wort.
Mittlerweile hat der Streit die Grenze zur Absurdität überschritten. Anfang Februar flatterte Wedenin eine Abmahnung ins Haus. Er sei bis zu Dytrts Kür bei der EM in Budapest geblieben, anstatt gleich nach Vlascenkos Auftritten zurückzukehren. Für dieses Verhalten müsse er „mit Konsequenzen rechnen“, schrieb Krick. Dabei hatte der Verband ebendiesen Aufenthalt zuvor schriftlich genehmigt. Alle paar Wochen habe Krick die Bezahlungsmodalitäten geändert, klagt Wedenin. Für die neuesten Anordnungen klingelte schon mal nachts um zwei sein Faxgerät. Wedenin, früher russischer Nationaltrainer, holt tief Luft. „Das war Mobbing“, sagte er.
Beobachter haben für das groteske Schauspiel nur eine Erklärung: Dem Eislaufstützpunkt München fehlt seit Jahren talentierter Nachwuchs, doch statt die Verantwortung bei sich selbst zu suchen, konstruieren die Funktionäre absurde Vorwürfe. Die bayerischen Sportler und ihre Eltern jedenfalls sammeln mittlerweile Unterschriften für Wedenin und Folle. Niemand fühlt sich vernachlässigt. Jetzt, wo Krick in die Defensive gerät, moniert sie, Wedenin sei eben mit „seiner Seele nur bei den Top-Athleten und nicht bei den Kindern“. Jetzt geht es allen nur noch darum, Recht zu behalten.
Der Streit kommt auch der DEU denkbar ungelegen. Er bestätigt allerdings die These, wonach im deutschen Eiskunstlauf vor allem eines gelingt: jeden Hoffnungsschimmer gleich selbst wieder zu zerschlagen. Zwar hat zurzeit kein deutscher Athlet international Medaillenchancen. Doch Stefan Lindemann schaffte bei der EM immerhin Platz fünf, Dytrt wurde Elfte. Erstmals nach Jahren kollektiver Depression herrschte so etwas wie Aufbruchstimmung. Dann musste jedoch DEU-Vize Frieder Dieck wegen Ungereimtheiten beim Kartenverkauf das Organisationskomitee der WM verlassen. Und nun muss DEU- Präsident Reinhard Mirmseker auch noch erleben, wie ausgerechnet seine zweite Stellvertreterin, Sissy Krick, die beste deutsche Athletin samt Trainern vermutlich ins Ausland treibt. „In München werden wir jedenfalls auf keinen Fall bleiben“, sagt Wedenin. „Wenn wir nur streiten, anstatt kreativ arbeiten zu können, hat das doch alles keinen Sinn.“ Dass der Verband der Entwicklung nicht tatenlos zusehen will, hat Präsident Mirmseker angedeutet: „Wenn sie sich entscheidet, weiterhin mit dem Team Folle/Wedenin zu trainieren, werden wir versuchen, ihr das zu ermöglichen. Einerlei an welchem Ort das sein wird.“
CLAUDIO CATUOGNO