Experimente mit dem Mangel

Tiefe Töne: Der House-Produzent, DJ und Musiker-Wissenschaftler Mike Huckaby stammt aus Detroit und wohnt jetzt in Berlin

VON JULIAN WEBER

„In Detroit haben wir wirklich geglaubt, dass Kraftwerk eine Roboter-Band ist. Ihre Cover waren voller Mannequins! Und wir dachten, sie hätten Maschinen entwickelt, die reden und Musik machen können. Davon waren wir fest überzeugt.“ Der Menschmaschinen-Formalismus hat den Detroiter House-Produzenten und DJ Mike Huckaby nachhaltig beeinflusst. Momentan lebt Huckaby in Berlin. Von hier aus reist er für eine Musiksoftwarefirma durch Europa und leitet Workshops. Was die Entwicklung digitaler Musikerzeuger angeht, sieht der Detroiter Künstler die Philosophie von Kraftwerk inzwischen auf breiter Front verwirklicht: „Elektronische Musiksoftware beschleunigt den Produktionsprozess. Alles andere ist sekundär. Am Computer an einem Remix aus Detroit zu arbeiten, während man in Berlin ist, das ist schon ziemlich Kraftwerk.“

Mike Huckaby gehört zur Tradition der Musiker-Wissenschaftler. Er begeistert sich für analoge Synthesizer und mag elektronischen Jazz. Eines seiner Fachgebiete ist die elektronische Synthese, mit der er sich intensiv beschäftigt hat, da er nach Alternativen zur samplebasierten Musik suchte. „Bei den Synthesizern war in den Siebzigerjahren Arp der Marktführer. Aber die Sounds der Arp-Synthesizer waren nur schwer reproduzierbar, besonders für Musiker, die viele Drogen nahmen, und so sattelten viele auf den Minimoog um. Er war einfacher zu bedienen.“ So habe er Musiktechnologie zu verstehen gelernt, erklärt Huckaby.

Von Sun Ra bis Jeff Mills gibt es eine lange Reihe der autodidaktischen und technikbegeisterten Nerds in der afroamerikanischen Pop- und Jazzdiaspora, die ihr Wissen informell weiterreichen. Was Techno und House in Detroit betrifft, erscheint der konzeptuell forschende und lehrende Musiker-Wissenschaftler besonders sinnfällig. In einem ökonomisch und sozial desolaten Umfeld, wie es die Industriestadt „Motorcity“ Detroit darstellt, ordnet der Mix aus Bildung und Unterhaltung das Chaos. Seit einigen Jahren unterrichtet Mike Huckaby selbst Kinder und Jugendliche das Musikmachen am Computer in dem Projekt „Youthville“. Gegen ein geringes Entgelt kann der Detroiter Techno-Nachwuchs den Umgang mit Synthesizern und Musiksoftware lernen.

Wenn Mike Huckaby über seine eigenen Flegeljahre in der elektronischen Tanzmusik von Detroit spricht, überlegt er genau, wiegt jedes Wort ab, erklärt gründlich. Das Fundament von Techno beruhe auf zwei DJ-Schulen der frühen Achtzigerjahre, sagt er. Der school of mixing und der school of tricks. „Die einen verlegten sich mehr auf das Mischen von Schallplatten und alles Ekstatische, was damit einhergeht. Die anderen machten sich an die Klangforschung, hörten sehr genau hin, analysierten und konstruierten.“ Prägend war etwa der Radio-DJ Charles „the Electrifying Mojo“ Johnson, der seine Hörer allabendlich dazu aufforderte, mit Taschenlampen am Fenster zu winken, um den Außerirdischen die Landung zu erleichtern. „Das hat Eingang ins kollektive Unbewusste unserer Stadt gefunden“, so Mike Huckaby.

Zukunftsglauben erleichterte den Alltag in der Gegenwart. In den Achtzigerjahren gab es in Detroit rivalisierende Partyveranstalter, wie Deep Space oder Direct Drive. Ihre Anhänger besuchten jeweils eine bestimmte Highschool. „Ich ging auf keine der Party-Schulen, das machte mich zum Außenseiter. Meine Eltern waren nicht besonders wohlhabend, ich trug die falschen Klamotten, und so war es für mich immer ein bisschen unangenehm, diese Partys zu besuchen. Ich kannte niemand persönlich. Was macht man, wenn man niemand kennt? Man achtet ganz besonders auf die Musik. Bei mir ging es von Anfang an nur um Musik. Erst lernte ich, was die DJs voneinander unterscheidet, dann habe ich auf die musikalischen Genres geachtet.“ Heute veröffentlicht Huckaby auf seinen eigenen Labels SYNTH und Deep Transportation elegant verschlankte, aber kraftvolle Deep-House-Tracks. Bis dahin war es trotz prominentem Mentor ein steiniger Weg. Derrick May, der mit Juan Atkins und Kevin Saunderson zu den drei ersten Produzenten von Detroit Techno gehört, nahm Huckaby anfangs unter seine Fittiche. „Ich war der langsamste Produzent, den man sich vorstellen kann, und benötigte sechs Monate, allein um eine Hi-Hat zu programmieren. Ich wollte perfekt sein und habe es einfach nicht hinbekommen. Derrick arbeitete damals viel effektiver.“

Sich selbst zu erfinden hat in Detroit eine existenzielle Bedeutung. „Wir Produzenten benutzen wenig Equipment, dazu sind wir gezwungen. Meine ersten Maxisingles sind mit einem einzigen Sampler entstanden. Mehr als dieses eine Instrument konnte ich mir nicht leisten. Die Anschaffung beruhte auf monatelangen Erwägungen: Welcher Sampler hat die wärmsten Filter, bei welchem Synthesizer klingen die Preset-Sounds am besten. Die Leute in Detroit experimentieren mit dem Mangel. So war es schon immer.“

14 Jahre hat Mike Huckaby in dem Plattenladen „Record Time“ gearbeitet, einer Institution, die auch über die Grenzen von Detroit hinaus bekannt ist. „Dort habe ich zusammen mit meinem Kumpel Rick Wade mein obsessives Verhältnis zu den tiefen Tönen und Sounds entwickelt. Duch die Arbeit im Laden habe ich Musik noch mehr zu schätzen gelernt. Ich habe gelernt, dass sie auch unfertig sein kann. Jetzt lasse ich Fehler zu. Ich muss Fehler machen, dann erst wird meine Musik gut.“

Mike Huckaby DJ-Set: 11. 12. Privatclub, Kreuzberg 22 Uhr, am 19. 12. live im Tresor mit Pacou