: Harte Zeiten statt Humanismus
Der iranische Film, bekannt geworden durch skurrile Darstellungen ländlicher Regionen voller humanistischer Einsichten, geht neue Wege. Harte Typen, harte Schnitte und viel soziale Härte in der Megacity: So schwarz war Teheran noch nie
VON AMIN FARZANEFAR
Unter achtzig Filmen Jahresproduktion findet sich genug Schrott: lahme Actionfilme, unlustige Blödelklamotten oder ein Kinderfilm mit einem Muppett-Männlein, das zum Fernsehen möchte. Einige Ehemelodramen – Mann schlägt Frau, Frau läuft fort, und dann wird einer umgebracht – sind weniger einem neuen feministischen Trend geschuldet, sondern einem alten, schlechten Geschmack.
Ob derlei nun „repräsentativer“ für iranische Kinokultur sein mag als die Arthouse-Filme der Kiarostamis oder Makhmalbafs – die zudem häufig gar nicht oder nur in Zensurfassungen in heimische Kinos gelangen – bleibt schwer zu entscheiden. Ähnlich schwer wie die Frage, ob Wenders, Herzog, Fassbinder – die Aushängeschilder der Goethe-Institute – Rückschlüsse auf deutsche Denke zulassen oder eher der Kassenschlager „Der Schuh des Manitu“. Allerdings: ein „Good Bye, Lenin“, der allgemein Lob erntete, weil er seiner Zeit auf den Zahn fühlt, einem gesellschaftlichen Umbruch nachspürt, ist im Iran beachtlich oft zu finden.
Szenenapplaus und beachtliche Zuschauerzahlen erntete etwa „Under the skin of the city“ von Rakhshan Bani-Etemad, die einen kritischen Blick unter die Dächer Teherans warf. Der Titel ist Programm für eine ganze Reihe jüngerer Produktionen, die vom Publikum ungläubig wahrgenommen und dann ausgiebig beklatscht wurden.
Während wir Westler mit iranischem Kino weitgehend noch symbollastige „humanistische Parabeln“ verbinden – in der Provinz abgedreht, mit halbwüchsigen Darstellern besetzt –, scheinen die Zeiten vorbei, in denen allein der Kindermund Wahrheit kundtat.
Die Masse der iranischen Baby-Boomer ist zur mündigen Reformjugend herangereift, boykottiert Wahlen und sucht ein eigenes Bild in der Populärkultur. „Party“, „Swan’s Song“, „Wings to fly“, auch der atemberaubende „Killing mad dogs“ sind anarchistische Stadtfilme unterschiedlichster Genres, die die Dinge zeigen, wie sie sind, und nicht, wie es der Zensor gerade zulässt. Meist verhelfen noch Väter und Polizisten, die Vertreter der familiären und staatlichen Ordnung, den rebellierenden Antihelden zu einer gerechten Strafe – und den kritischen Regisseuren zu einem moralischen Alibi bei der Zensur.
Einige der neuesten Produktionen allerdings lassen den Zuschauer erst mal tief Atem holen: Parviz Shahbazis „Deep Breath/Nafase amigh“ begleitet zwei Teheraner Slacker, die Allah einen guten Mann sein lassen: Handys klauen, Autospiegel abtreten und den Mädchen hinterher schauen. Der Nihilist hungert sich zugrunde, der Romantiker verliebt sich in ein selbstbewusstes Teheraner Girlie. Die Väter sind irgendwo anders, und der Polizist sieht mittlerweile alle ideologischen Felle davonschwimmen und winkt das unverheiratete Pärchen einfach durch die Verkehrs(!)kontrolle – nicht mal mehr eine Notlüge braucht es.
Kritische Inhalte werden zunehmend expliziter direkt im Populärkino umgesetzt. Umgekehrt wirkt der „westlich“ erzählte Mainstream wieder produktiv auf die Ästhetik der etablierten „Arthouse-“ und „Festival-Regisseure“ zurück: Mit dem Venedig-Gewinner „Crimson Gold“, einem wahren Juwel, erfand etwa Jafar Panahi „Taxi-Driver“ neu: sein Protagonist, ein fettleibiger Pizzafahrer, der seine Seele nicht wie weiland De Niro in Vietnam, sondern im iranisch-irakischen Krieg gelassen hat, erlebt auf seinen nächtlichen Touren die ganze Schizophrenie der Millionen-Metropole, frisst Pizza und Frust in sich hinein, bis er explodiert.
So schwarz war Teheran nie: depressive Rückkehrer, machthungrige Sittenwächter und ein unüberbrückbarer Klassengegensatz zwischen westorientierter Bourgeoisie und Unterschicht: Warum hatte es die Revolution gleich noch mal gegeben?
Die Frage stellt inzwischen auch Altmeister Ebrahim Hatamikia, der in seinen Propagandafilmen immer schon ein untrügliches Gespür für virulente Themen hatte: Da waren die jugendlichen Krieger und Märtyrer des Iran-Irak-Krieges, deren Leiden – Legitimationsgrundlage der Islamischen Republik – er wieder und wieder ikonografisch erhöhte. Da waren, auf der anderen Seite, die Verheißungen des Westens: Wer ihnen erliegt, geht vor die Hunde oder kehrt korrumpiert bis gebrochen zurück.
Heute stehen die alternden Golfkrieger am Rande der Gesellschaft, alle wollen raus, und Hatamikia (vom Sendungsbewusstsein noch nicht ganz kuriert) gestaltet seine Actiondramen etwas anders: In seinem Kassenknüller „Ajanse Shishe-i/The glass agency“ (1997) erzählte er von einer Geiselnahme im Reisebüro, wo einige verzweifelte Veteranen ihre Ausreise in den Westen erzwingen wollten. „Ertefaie past/Low height“, eine Art Remake, spielt jetzt direkt im Jet, und die Destination des hysterischen Geiselnehmers lautet unmissverständlich: raus aus diesem Land.
Nachdem so Regisseure und Filmemacherinnen aller Couleur die inhaltlichen und formalen Grenzen der neuen Freiheiten bis aufs Äußerste gedehnt haben, hätte die Politik eigentlich wieder den nächsten Zug tun müssen. Dass auf dem diesjährigen Fadjr-Filmfestival zum 25. Jubiläum auch zwei solide inszenierte Kriegsfilme liefen, mag nun von der Möglichkeit eines Backlash, einer Restauration, künden; dann wäre es wieder Zeit für Parabeln …
Im Rahmen des Filmprogramms zu ENTFERNTE NÄHE zeigt das Haus der Kulturen der Welt unter anderem „Deep Breath“ von Parviz Shahbazi (Fr., 26. 3., 19 Uhr + So., 11. 4., 18 Uhr) und Crimson Gold von Jafar Panahi (Fr., 30. 4., + Fr., 7. 5., jew. 20 Uhr)