Aus einem kühlen Grunde

Der Wechsel an der Spitze des Bremer SPD-Landesverbandes ist vollbracht: Detlev Albers wurden zum Abschied Lorbeerkränze geflochten, und Carsten Sieling trat das Amt mit Reformwillen und forschen Tönen gegenüber der CDU an

Bremen taz ■ Irgendwann während des sehr viele Stunden lang weilenden SPD-Landesparteitags am Samstag im Bremer Congress-Centrum trat die Delegierte Irene Sengpiel aus Bremen-Nord ans Mikrofon und beschwerte sich: Warum sie über einen Antrag des Vorstands abstimmen solle, den sie als Delegierte „noch nie vorher gesehen“ habe – und der die Ergebnisse einer Diskussion bereits vorwegnehme. In dem Papier, das von der „Stärkung der SPD im Land Bremen“ handelt, wird eine Parteireform gefordert, „die u.a. zu folgenden Ergebnissen führen soll“ – wohlgemerkt: soll, nicht könnte. Bei den im Antrag genannten „Ergebnissen“ ist unter anderem von einer „umfassenden Einbeziehung engagierter Bürger, gesellschaftlicher Gruppen, betrieblicher Interessenvertretungen und Organisationen in den Meinungsbildungsprozess der Partei“ die Rede. Da könne sie ja gleich aus der Partei austreten, drohte die Genossin. Daraufhin wurde Irene Sengpiel ausgebuht. Schließlich schrieb man statt der Vokabel „Ergebnisse“ einfach das schwammigere Wort „Vorschläge“ in den Antrag. Und fertig war die Laube.

Zu diesem Zeitpunkt war der Parteitag, der unter dem Motto „Lust auf Zukunft“ stand, bereits gelaufen – streng nach dem Drehbuch der Chef-Genossen. Detlev Albers hatte sich nach achteinhalb Jahren an der Spitze des Landesverbands verabschiedet – zum Lebewohl ließ er allen Delegierten eine Rede überreichen, die Bundestagspräsident Wolfgang Thierse letztes Jahr anlässlich Albers‘ 60. Geburtstags auf den Jubilar gehalten hatte.

„Henning, das war keine einfache Angelegenheit“, resümierte Albers sein Verhältnis zum Präsidenten des Senats. Während Scherf im Lauf der Zeit „zu einem tief überzeugten Befürworter des Prinzips Konsens“ geworden sei, habe er selbst sich dazu „immer nur durchringen“ können. Albers zu Scherf: „Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt uns zuzuhören, vielleicht auch uns ernst zu nehmen – manchmal hatte ich das Gefühl, dass das ein wenig einseitig war. Der Bürgermeister wiederum flocht Albers Lorbeerkränze und bedankte sich „für ganz viel Nähe, Freundschaft und Informelles“: „Aufopferungsvoll“ habe sich der eingelassen auf die SPD, eine „Bärenleistung“ sei das gewesen. Oft sei Albers „innerhalb der Partei für Entscheidungen kritisiert worden“, bei denen der Zorn der Basis eigentlich ihm, Scherf, hätte gelten müssen. Dafür entschuldige er sich nachträglich.

Auch von Albers’ Nachfolger Carsten Sieling erwartet Scherf, „dass er Loyalität gegenüber dem Koalitionsvertrag“ beweise: „Wir dürfen da nicht wortbrüchig werden“. Sieling komme es nun zu, in der Partei „den nicht ganz einfachen Übergang zwischen den Sechzigjährigen und den Anfang-Vierzigjährigen zu organisieren“, sagte der Bürgermeister. Die SPD müsse diesen Prozess „fair und öffentlich“ gestalten: „Wir sind keine Partei, die in der Black Box schummelt und das dann als große Entscheidung der Arbeiterklasse ausgibt.“

Der 45-jährige Sieling, den die Delegierten mit 82 Prozent an die Spitze des Landesverbands wählten, sang in seiner Antrittsrede das Hohelied von der SPD als „Bürgerpartei“: Die Partei müsse „den Menschen Möglichkeit der Mitarbeit, der Mitgestaltung und der politischen Mitbestimmung“ bieten – auch über die Ortsvereine hinaus.

Auch er habe im vergangenen Sommer „aus einem kühlen Grunde“ für die Fortsetzung der großen Koalition plädierte, sagte der langjährige Bürgerschaftsabgeordnete: „Wir dürfen die Schwarzen“ – Sieling meinte damit die CDU – „nicht auf der Zielgeraden der Sanierung aus ihrer Verantwortung entlassen“. Da die Ergebnisse der Sanierungspolitik „beileibe noch nicht auskömmlich und zufriedenstellend“ seien, „wäre es fahrlässig gewesen, die CDU in die bequeme Oppositionsrolle zu entlassen“. Im Übrigen müssten die „andauernden Absetzbewegungen“ der CDU ein Ende haben, der Doppelhaushalt 2004/05 sei „eine Aufgabe aller Senatsressorts“. Einseitige Schuldzuweisungen der CDU an die Adresse von Sozialsenatorin Karin Röpke verbat sich Sieling ausdrücklich – und grenzte sich so von Scherf ab, der zum Haushalt beredt geschwiegen hatte. Ein SPD-Promi hatte das geahnt: „Ich hätte darauf wetten können, dass dieser Bürgermeister sich hinstellt und kein Wort über den aktuellen Haushalt verliert.“ Markus Jox