: Polizei garantiert sicheren Sex
Weniger Gewalt gegen Prostituierte, keine Drogen, keine Zuhälterei – das Kölner Konzept des legalen Straßenstrichs scheint zu funktionieren. Prostituierte sind mit dem Longericher Standort zufrieden
von Nicole Klemp
Aufregung gab es reichlich um diesen Ort. Als sich die Stadt 2001 entschloss, den Kölner Straßenstrich aus der Innenstadt ins Longericher Gewerbegebiet zu verlegen und damit zu legalisieren, befürchteten Anwohner die Ausweitung der Prostitution und den Einzug von Drogenhandel in die Wohngebiete. Vor allem die rechtsradikale Vereinigung „Pro Köln“ tat sich durch Proteste gegen den Strich an der Geestemünder Straße hervor. Zweieinhalb Jahre nach Fertigstellung des Geländes hat sich die Aufregung gelegt. Das in Deutschland einmalige und als Modellversuch angelegte Kölner Projekt von Ordnungsamt, Polizei und Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) scheint zu funktionieren.
Sex in Verrichtungsboxen
450 Meter Straße wurden gebaut – schließlich sollte ein Straßenstrich entstehen. Hohe Zäune wurden um das etwa Fußballfeld große Areal herum errichtet und mit grüner Plane bespannt. Die Straße ist eine Einbahnstraße und führt einmal im Kreis herum. „Sie dient als Anbahnungszone“, erklärt Sabine Reichert, Sozialarbeiterin des SKF. Hier stehen die Prostituierten am Straßenrand oder unter einer der Unterstellmöglichkeiten in Bushaltestellenbereich und warten auf die Freier, die mit ihren Autos vorbeifahren.
Innerhalb der Straße, in der Mitte des Geländes, steht eine alte Scheune. Darin wurden acht Garagen ähnliche Autostellplätze eingerichtet, auf denen die Dienstleistungen verrichtet werden, bevorzugt im Auto. In Gelb, Türkis und Pink strahlen die im Amtsdeutsch als „Verrichtungsboxen“ bezeichneten oder von den Frauen „Séparées“ genannten Garagen über das ansonsten eher triste Gelände. Jede Box hat die gleichen Maße.
Die Männer sind verpflichtet, vorwärts einzuparken, da der Ausstiegsbereich für die Beifahrerin breiter angelegt ist. Zusätzlich ist jede Box mit einem Alarmknopf und einer Fluchttür ausgestattet. Die Frauen haben also im Notfall leichteren Ausstieg und die Möglichkeit, Alarm auszulösen und in das Innere der Scheune zu fliehen. Hier, in der Freier-freien Zone, gibt es für die Frauen sanitäre Anlagen, einen Getränke- und einen Zigarettenautomaten.
„Keinen Puff konzipiert“
Für Kunden, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommen, stehen zwei kleinere „Stehboxen“ zur Verfügung. Etwas ungemütlich und unwürdig sehen die von außen pink leuchtenden und innen leicht verschmutzten Räume mit dem Steinboden aus. „Wir haben keinen Puff konzipiert“, sagt Sabine Reichert. „Vorher fanden die Geschäfte im Gebüsch oder in Ecken statt, die auch nicht schöner sind als das hier.“
Und es scheint zumindest so vielen Männern zu gefallen, dass „20-30 Frauen täglich das Gelände zum Anschaffen nutzen können“, weiß Reichert. Als Pausen- und Aufenthaltsraum dient den Prostituierten neben der Scheune der Container des SKF am Eingang des Platzes. Der SKF ist mit sechs hauptamtlichen und fünf studentischen Kräften 365 Tage im Jahr präsent und gibt Getränke und Kondome aus, tauscht Spritzen und steht für Gespräche zur Verfügung. Dreimal pro Woche ist auch das Gesundheitsamt vor Ort und leistet Aufklärung in den Bereichen Verhütung, Krankheiten und Ernährung.
Kölns legaler Straßenstrich wurde nach dem Utrechter Modell konzipiert. Über Gespräche mit den Streetworkerinnen des SKF wurden auch die Prostituierten in die Planung einbezogen. „Anforderungen wie etwa der verengte Fahrerausstieg wurden erst aus den Gesprächen mit den Frauen deutlich“, sagt Reichert.
Wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt vom Sozialpädagogischen Institut Berlin (SIB). Die Prostituierten wurden von den SIB-Mitarbeitern über einen Zeitraum von zwei Jahren nach ihrer Beurteilung der Situation befragt. Die Auswertung der Ergebnisse zeigte, dass die Prostituierten mit dem Konzept sehr zufrieden sind. Die Akzeptanz war von Anfang an hoch, sowohl auf Seiten der Prostituierten wie auch der Freier. „Die zunächst dreistufig angelegte Überzeugungsarbeit, die Prostituierten zu einem Wechsel zur Geestemünder Straße zu bewegen, konnte schon nach der ersten Stufe – der Aufklärungsphase durch den SKF, verbunden mit verstärkter Repression am Reichensperger Platz – eingestellt werden“, sagt Arnd Rüenaufer, Kriminaloberrat und Projektverantwortlicher auf polizeilicher Seite. Darüber hinaus konnten wesentliche Projektziele erreicht werden: Der Schutz der Prostituierten vor gewalttätigen Freiern konnte erhöht werden und der Straßenstrich im innerstädtischen Sperrbezirk fast vollständig aufgelöst werden.
Sex in Hauseingängen, gebrauchte Kondome und Spritzen auf Kinderspielplätzen, umherkreisende Autos unentschlossener Freier und die Belästigung von Passantinnen durch Männer auf der Suche nach „Liebesdiensten“ kommen heute in den Kölner Sperrbezirken seltener vor. Die Vertreibungstaktiken von Polizei und Ordnungsamt hatten immer nur zu einer örtlichen Verschiebung des Problems geführt, so dass sich der Strich im Laufe der Jahre durch die Kölner Innenstadt von der Johannisstraße zur Clever Straße schlängelte. Für die Prostituierten bedeutete dies ein ständiges Gehetztsein, unsicheres Arbeiten, In-Gewahrsamnahmen und Bußgelder.
Dealen ist nicht geduldet
Denn auch wenn jede Prostituierte ihre Persönlichkeit, Geschichte und Lebensweise hätte, so SKF-Sozialarbeiterin Reichert, hätten die Frauen doch eines gemeinsam: „Sie gehen alle aus einer Notsituation heraus anschaffen, aufgrund finanzieller Schwierigkeiten oder, wie in den meisten Fällen, zur Finanzierung ihrer Sucht.“ Zwar überwachen auf dem legalen Straßenstrich Ordnungsamt und Polizei auch die Einhaltung der Regeln, etwa, dass nur Frauen und Männer ab 18 Jahren den Platz betreten dürfen oder dass Zuhälterei, Dealen und Drogenkonsum nicht geduldet sind. Aber die Mitarbeiter sind maßgeblich für die Sicherheit der Prostituierten verantwortlich. „Unsere Leute mussten quasi einen Paradigmenwechsel vollziehen“, sagt Rüenaufer.
Gewaltbereite Männer werden durch die Polizeipräsenz eher abgeschreckt. Am Reichensperger Platz waren Übergriffe auf Prostituierte an der Tagesordnung. In der Geestemünder Straße kam es dazu bislang laut SKF wesentlich seltener. Ein Erfolg, der vor allem auf die gute Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen zurückzuführen ist.