: Zuwanderung nur mit Lupe zu erkennen
Grüne beklagen „magere Ausbeute“ bei den bisherigen Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz. Die Regierung habe erneut „massive Zugeständnisse“ an die Union gemacht. Beim Flüchtlingsschutz aber wollen Grüne weiter hart bleiben
AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF
Hört man die Signale der beiden Volksparteien, dann steht einer Einigung über das Zuwanderungsgesetz nicht mehr viel im Wege. Die sieben Unterhändler von Regierung und Opposition seien bei der letzten Sitzung am Sonntagabend „ein gutes Stück nach vorne“ gekommen, sagte CDU-Verhandlungsführer Peter Müller gestern. Nach fünfmonatigen Verhandlungen sieht der saarländische Ministerpräsident „Licht am Ende des Tunnels“.
Auch für Innenminister Otto Schily (SPD) sind die Chancen für eine Einigung mit der Union „erheblich gewachsen“. Der SPD-Unterhändler im Vermittlungsausschuss, Dieter Wiefelspütz, schätzt die Wahrscheinlichkeit eines Konsenses sogar auf „75 bis 80 Prozent“. Grund für den Optimismus: Wie von allen Seiten bestätigt wurde, gibt es inzwischen Übereinstimmung in mehreren Punkten: bei der Arbeitsmigration, bei Spätaussiedlern und dem Kindernachzug. „Wir haben einen Teil der Verhandlungsmaterie abgeräumt“, sagte Wiefelspütz gestern der taz. „Unter wichtige Teile des Gesetzes können wir jetzt Häkchen machen.“ Deshalb sei er auch für den weiteren Verlauf der Verhandlungen, die morgen weitergehen, „zuversichtlich“.
Nur einer will nicht in die Euphorie einstimmen: Der grüne Verhandlungsführer Volker Beck gibt sich weiter skeptisch und weist auf die Differenzen hin, die es vor allem beim Flüchtlingsschutz noch gebe. Für den Fall, dass die Union sich weiter gegen einen besseren Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung sträube, droht Beck mit dem Scheitern der Verhandlungen. „Wenn es an diesem Punkt keine Überbrückung der Differenzen gibt und keine vernünftige Lösung, dann ist dieses Paket für unsere Fraktion so nicht zustimmungsfähig“.
Auch die Begeisterung der SPD über das bisher Erreichte kann Beck nicht teilen. Er sprach von einer „mageren Ausbeute“, „massiven Zugeständnissen“ und räumte ein, die erzielte Einigung in Teilbereichen sei nur zustande gekommen, „indem sich die Koalition auf die Union zubewegt hat“. Die Regelungen zur Arbeitsmigration seien „so weit geschrumpft, dass man schon eine Lupe nehmen muss, um eine Modernisierung zu finden“.
Betrachtet man die bisherigen Ergebnisse, hat sich die Union in fast allen Bereichen durchgesetzt. Erstens: Das ursprünglich geplante Punktesystem für Neueinwanderer ist endgültig vom Tisch. Zweitens: Bei der Arbeitsmigration wird es nur für „Hochqualifizierte“ und für Fachkräfte aus den EU-Beitrittsländern erleichterte Aufnahmeregeln geben. Für alle anderen Gruppen bleibt der Anwerbestopp bestehen. Drittens: Die Anforderungen an Spätaussiedler und ihre Angehörigen, vor dem Zuzug nach Deutschland Sprachkenntnisse nachzuweisen, wurden gegenüber dem rot-grünen Gesetzentwurf deutlich zurückgeschraubt. Viertens: Beim Kindernachzug soll es beim geltenden Recht bleiben, wonach Kinder ihren Eltern bis zum 16. Lebensjahr nach Deutschland folgen können. Dies klingt zunächst nach einem rot-grünen Erfolg, denn bisher war vorgesehen, das Nachzugsalter generell auf 12 Jahre zu senken. Doch mit der beschlossenen Fortschreibung des Status quo fallen auch die relativ großzügigen Ausnahmeregeln für 12- bis 18-Jährige weg, die Rot-Grün einführen wollte.
Unklar blieb bis gestern, wie die Regierung auf die Forderung der Union nach leichterer Ausweisung potenzieller Terroristen reagiert. Beck erklärte sich zu „Nachjustierungen“ bereit, schloss aber aus, dass es Ausweisungen „auf bloßen Verdacht hin“ geben werde. CDU-Verhandlungsführer Müller hatte zuvor erklärt, bei der Gefahrenabwehr könne für Zuwanderer die Unschuldsvermutung nicht länger in vollem Umfang gelten.