: Biographische Verwerfungen
Scharfer Blick auf Klischees: In Samirs „Forget Baghdad“, jetzt zu sehen im 3001, berichten arabische Juden aus Irak über Demütigungen im frisch gegründeten Israel
von URS RICHTER
Israelis sind Juden, Araber sind Moslems, und seit Menschengedenken geben beide sich gegenseitig heftig aufs Maul. So unser Bild des Nahen Ostens in groben Zügen. Irritiert lauscht man daher vier älteren Herren, die sich in Forget Baghdad, jetzt zu sehen im 3001, vorstellen als arabische Juden aus dem Irak. Allesamt ehemalige Mitglieder der internationalistischen irakischen KP, sind sie Antizionisten, doch seit Jahrzehnten in Israel ansässig.
Die Vorstellung verläuft in so selbstverständlichem Tonfall, als müssten diese komplizierten Lebenslinien allgemein bekannt sein. Von eigener Unwissenheit beschämt, lässt man sich also eine Lektion erteilen in unbekannter Historie. Und lässt sich diese Lektion gerne erteilen, weil Samir, so heißt der Filmemacher, als seinerseits Lernender voranblättert in den unterschlagenen Kapiteln seiner Herkunft.
Auch sein Vater war kommunistischer Iraker, wenn auch muslimisch, und ist Anfang der 60er mit der Familie in die Schweiz emigriert. Aus Kindertagen kennt Samir Erzählungen über ein modernes Bagdad, in dem unter britischer Kolonialherrschaft orientalische Moslems, Christen und Juden auf arabisch, französisch oder englisch Marx und Baudelaire diskutieren. So lange, bis die Krakenarme des Nationalsozialismus auch hierher reichten. In einem Militärputsch gegen den König – Symbol britischer Hegemonie – fand der von Nazideutschland unterstützte arabische Nationalismus 1941 im Irak seinen ersten Höhepunkt. Schleichend begleitet von antisemitischen Stereotypen. Die Kommunistische Partei des Irak bot jenen Unterschlupf, die gegen Hitler, gegen das heimische Regime, aber eben auch gegen religiösen und völkischen Chauvinismus waren.
Nach der Gründung Israels 1948 setzte die irakische Regierung dann alle Juden derart unter Druck, dass der von der arabischen Welt mit Misstrauen und Hass begleitete Hybridstaat für die meisten der einzige Fluchtpunkt blieb. Bis 1951 gingen 120.000 von ehemals 140.000 irakischen Juden nach Israel, als nützliche Landarbeiter in den Kibbuzen empfangen, aber auch mit einer Pulverspritze voll DDT. Die sollte aus verlausten Kameltreibern rechtschaffene Bürger machen.
Noch heute sitzt den vier porträtierten Intellektuellen diese Beleidigung in den Knochen. Samir gelingt es in seinem Film, einerseits die individuellen Verwerfungen innerhalb deren Biographien zu markieren, andererseits aber auch, das Exemplarische dieser Verwerfungen geltend zu machen – als Ursache jener Probleme, die Israel noch heute auf die Zerreißprobe stellen. Denn immer gilt das Augenmerk der eigenen Identität, wenn in Forget Baghdad über Sprache, Kultur, Religion, Nation und Volk verhandelt wird. Deutlich wird, dass die Vision Israels als Heimat aller Juden von Anbeginn ein Albtraum war für jene, die nicht die kulturelle Prägung des europäischen Judentums und das Trauma des Holocaust mitbrachten. Ihre Lebensweise wurde verspottet und Beschwerden der orientalischen Neubürger von Zionisten mundtot gemacht durch Hinweis auf das viel schlimmere, eigene Leiden. In aller Schärfe trägt Ella Habiba Shohat diese Analyse vor, sie lehrt Film- und Kulturwissenschaft an der Universität New York und hat als Tochter irakischer Immigranten in Israel noch genau die Scham in Erinnerung, wenn ihr die Mutter Pide und eingelegte Eier statt Nutellatoast mit zur Schule gab.
Anhand von Spielfilmausschnitten, unter anderem aus Werken von Ephraim Kishon, belegt Ella Shohat, wie klischeeanfällig Gesellschaften sind: Das populäre Bild des orientalischen Juden früher israelischer Produktionen ähnelt auf gruslige Weise dem der Nazipropaganda in Jud Süß. Paul Newman hingegen sieht als junger Israeli in Exodus arischer als arisch aus.
Forget Baghdad möchte die Schablonen von Geburt, Glaube und Gesinnung nicht erst durch das Erzählte, sondern bereits in der Art des Erzählens sprengen. Samir unterlegt, überblendet, grundiert seine talking heads mit Politschlagworten und Religionstexten auf Englisch und Arabisch, mit alten Photos und einer Klappe, die ab und zu die Szene schlägt. Diese Spielereien sind oft nichts weiter als videotechnischer Klimbim, der eher vom Thema ablenkt, als es zu kommentieren. Die Zeitzeugen haben von sich aus genug zu berichten.
heute und morgen, 18 Uhr, 3001