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Archiv-Artikel

„Eine gewaltige Bugwelle“

Derzeit stehen in Bremen noch mehrere Tausend Jugendliche ohne Lehrstelle da. In zusätzlichen Berufsfachschulklassen sehen dortige LehrerInnen vor allem „Warteschleifen“. Die Arbeits- und Jugendsenatorin sucht weiter nach Ausbildungsplätzen

Sechs zusätzliche Berufsschulklassen fangen nur einige der Unversorgten auf

taz ■ Das Plenum des Bündnisses für Arbeit und Ausbildung hat sich jetzt mit der prekären Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt beschäftigt. Ende März waren in Bremen Stadt 2.119 Jugendliche ohne Lehrstelle, in Bremerhaven 1.015. Zwar gab es noch freie Plätze, und bis zum Ausbildungsbeginn im August sind noch ein paar Wochen Zeit. Aber ob bis dahin alle versorgt sind? „Wir hoffen das sehr“, sagt Heidrun Ide, Sprecherin der Arbeits- und Jugendsenatorin Karin Röpke (SPD).

Um wenigstens einige der unversorgten Jugendlichen unterzubringen habe die Bildungsbehörde zum kommenden Ausbildungsjahr zusätzliche Berufsfachschulklassen eingerichtet, sagt Alfred Schneider, Leiter der Berufsschule für Metalltechnik in Oslebshausen, und ergänzt: „Wir schieben eine gewaltige Bugwelle vor uns her“. Auch an seiner Schule wird eine der insgesamt sechs zusätzlichen Klassen in Bremen eingerichtet.

Allzu viel wird das Jahr Berufsfachschule den SchülerInnen nicht bringen, fürchtet er. Schneider sieht in diesen Klassen „Warteschleifen“. Diese Art der Versorgung diene dem „Bildungserhalt“, schätzt er. Dem widerspricht Rainer Gausepohl, Sprecher von Bildungssenator Willi Lemke (SPD). Die SchülerInnen würden in dem Jahr vier Wochen Betriebspraktikum absolvieren, was ihre Chance auf eine Lehrstelle verbessere. Und wer wolle, könne den Realschulabschluss nachmachen.

Schneider hält dagegen: Die SchülerInnen aus diesen Klassen hätten anschließend weder einen Anspruch auf eine Lehrstelle noch könne ihnen die Zeit als erstes Ausbildungsjahr angerechnet werden. Die Konkurrenz unter den BewerberInnen, die in Oslebshausen unterkommen wollten, steige.

Dort, an der einzigen „Produktionsschule“ Bremens, werden 300 Schüler unterrichtet und ausgebildet. Am Ende steht der Facharbeiterbrief als Konstruktionsmechaniker. Auch diejenigen, die ohne Abschluss die Hauptschule verlassen haben, haben in Oslebshausen eine Chance über die B/BFS (Berufseingangsstufe – Berufsfachschule in Bremen): Das bedeutet, dass sie an der Berufsschule für Metalltechnik in zwei Jahren den Schulabschluss nachholen und das erste Ausbildungsjahr absolvieren. Schulleiter Schneider vermutet, dass der Erfolg von den anderen Lernmethoden herrühren könne, die dem Motto „Lernen über die Hand in den Kopf“ folgen.

Das ist der Status Quo. Längerfristig hofft Schneider, dass alle Jugendlichen nur noch mit Abschluss die Schule hinter sich lassen und früher eine Orientierung über ihre Berufswünsche bekommen. Schneider denkt, dass die „Werkstattphase“ der Hauptschulen nicht ausreicht. Die HauptschülerInnen müssten schon ab der siebten oder achten Klasse in Berufe hineinschnuppern und dabei die Berufsfelder tatsächlich „durchdringen“. Dafür sei eine engere Zusammenarbeit zwischen Sek-I- und Berufsfachschulen notwendig. Wie die aussehen kann, darüber zerbrechen sich Schneider und seine KollegInnen derzeit die Köpfe.

Auch anderswo auf dem Ausbildungsmarkt wird um Perspektiven gerungen: Letzten Freitag haben VertreterInnen der Gewerkschaft Verdi zum widerholten Mal gegen einen Beschluss der Arbeitnehmerkammer protestiert, die Jugendbildung in der Wirtschafts- und Sozialakademie der Kammer (WiSoAk) bis 2006 einzustellen. 25 Prozent des WiSoAk-Angebotes sei Jugendbildung, die mittelfristige Finanzplanung dieser seit 20 Jahren „erfolgreichen Arbeit“ sei immer aufgegangen, sagt ihr stellvertretender Betriebsratsvorsitzender Karl Heitmann. Er hofft, dass die Vollversammlung der Kammer den Beschluss rückgängig macht.

Mindestens genauso kritisch ist die Situation des Arbeiter-Bildungs-Centrums (ABC). Das ist akut vom Konkurs bedroht und muss bis Mitte Juni einen Sanierunggsplan vorlegen (die taz berichtete). Wenn die Pleite nicht mehr abzuwenden sein sollte, bedeutete das einen herben Verlust für die Ausbildung Jugendlicher: Denn immerhin 60 Prozent des ABC-Angebots richtet sich an sie.

Auf dem Plenum des Bündnisses für Arbeit betonte Karin Röpke, weiterhin neue Ausbildungsplätze gewinnen zu wollen. Und das, wo die Lehrstellen-Zahl sich in Bremen im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozent auf 3.833, in Bremerhaven um 18 Prozent auf 806 verringert hat.Ulrike Bendrat