: Der Mörder am rechten Rand
Er war einer der berüchtigtsten und bekanntesten Schergen im Warschauer Ghetto – und lebte bis in die Sechzigerjahre völlig unbehelligt in der DDR: „Der SS-Mann Josef Blösche“ (23.30 Uhr, ARD)
von RAINER BRAUN
Wir meinen spätestens seit Hannah Arendt mit der Banalität des Bösen irgendwie vertraut zu sein, und sind doch entsetzt, wenn wir im Einzelfall mit ihr konfrontiert werden. Was treibt einen Menschen dazu, andere zu drangsalieren, zu quälen und zu erschießen? In der SS-Uniform eines Rotten- und späteren Unterscharführers war Josef Blösche an der Deportation Hunderttausender in die Gaskammern beteiligt, ihm selbst wurde die Ermordung von 2.000 entkräfteten und entrechteten Menschen im Warschauer Ghetto zur Last gelegt. Wer den Genozid an der jüdischen Bevölkerung überlebt hat, beschreibt den eher unscheinbaren Mann als Sadisten, der gnadenlos seine Machtposition ausnutzte: Blösche schaute zu, wie sich eine Mutter mit ihrem Kind aus einem brennenden Haus in den Tod stürzte, nachdem er selbst mit der Waffe in der Hand die Löscharbeiten der Feuerwehr verhindert hatte.
Ein Foto, das um die Welt ging als Symbol für die Barbarei und Monströsität des NS-Regimes, zeigt Blösche im Hintergrund, den Karabiner im Anschlag. Dem kleinen Jungen, den er mit erhobenen Händen vor sich hertreibt, stehen Verzweiflung und Leid ins Gesicht geschrieben. Die Geschichte hinter diesem Bild erzählt Heribert Schwan, indem er ein Psychogramm und Täterprofil zu entwerfen versucht. „Der SS-Mann. Josef Blösche – Leben und Sterben eines Mörders“ hat er seine insgesamt sehenswerte Dokumentation überschrieben, die von der ARD heute leider erst kurz vor Mitternacht ausgestrahlt wird. Mehr als eine Ergänzung ist in diesem Fall das gleichnamige Sachbuch, das Schwan gemeinsam mit Helgard Heindrichs aus Anlass des 60. Jahrestags der Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto publiziert hat (bei Droemer, 355 Seiten, 19,90 Euro).
Schwans besondere Leistung liegt dabei in der akribischen und sorgfältigen Spurensuche in der Vita eines Massenmörders. Als Josef Blösche 1912 als Sohn eines Gastwirts geboren wird, gehört seine Heimatstadt Friedberg zu Österreich-Ungarn, nach dem Ersten Weltkrieg wird der von Sudetendeutschen geprägte Ort Teil der ČSR. Nach frühem Abgang von der Schule beginnt er auf Wunsch des Vaters eine Ausbildung zum Kellner, seine politische Sozialisation ist früh landsmannschaftlich und deutsch-national ausgerichtet. Sein weiterer Weg nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei verläuft auch in der SS-Uniform zunächst unspektakulär, bis er 1941 in Weißrussland erstmals an Erschießungen aktiv teilnimmt. Im Oktober wird er nach Warschau versetzt, wo er seine Allmachtsfantasien ausleben kann. „Ein direkter Kontakt bedeutete, dass man immer dabei die Chance hatte, zu sterben. Er hatte immer einen Grund, dich zu töten“, erinnert sich Sol Liber, der den Holocaust überlebte.
Auch wenn manche seiner filmischen Kunstgriffe gewöhnungsbedürftig und einige Texte redundant scheinen, ist Schwan eine aufschlussreiche Dokumentation gelungen. Ohne den Täter zu dämonisieren, gelingt unter Hinzuziehung (kriminal-)psychologischen Sachverstands die Skizzierung eines Massenmörders, dem ein verbrecherisches Regime Enfaltungsmöglichkeiten für seine sadistischen Fantasien gibt.
Schließlich blättert Schwan aber auch ein Kapitel deutsch-deutscher Justizgeschichte auf. Denn bis in die 60er-Jahre lebte Blösche als einfacher Arbeiter und treu sorgender Familienvater unerkannt in Thüringen, bis ein Rechtshilfeersuchen des Hamburger Landgerichts das MfS in Bewegung brachte. Er wird verhaftet und im folgenden Prozess wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in mindestens 2.000 Fällen am 30. April 1969 zum Tode verurteilt. Drei Monate später wird das Verdikt in der Justizanstalt Leipzig vollstreckt – durch Genickschuss.