Der Bundeskanzler jetzt linksherum

Gerhard Schröder trifft die Parlamentarische Linke der SPD-Bundestagsfraktion und setzt bei der Suche nach einer Mehrheit für seine Reformagenda 2010 auch auf deren Hilfe. Beide Seiten sind sich einig: Die Abstimmung ist keine Gewissensfrage

aus Berlin JENS KÖNIG

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Diese alte Fußballerweisheit gilt längst auch in der Politik, deren Atem manchmal ja nur noch für einen Tag reicht. Wo Politiker gestern aufgehört haben, machen sie heute weiter, wenn heute nicht gerade mal wieder das Gegenteil von gestern gilt. Aber weiter geht es immer.

Am Montag kam es Gerhard Schröder in der Öffentlichkeit darauf an, im SPD-Vorstand Stärke gezeigt und seine Reformagenda 2010 kompromisslos durchgesetzt zu haben. Am Dienstag empfing Schröder eine sechsköpfige Abordnung der Parlamentarischen Linken für eine Stunde im Kanzleramt, um mit ihnen gemeinsam zu überlegen, wie die Kritiker in der SPD-Fraktion vom Kurs des Kanzlers überzeugt werden können.

Schröder und die Regierungslinken um die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Gernot Erler und Michael Müller treffen sich regelmäßig. Ihr Arbeitsverhältnis gilt als gut. So war es auch gestern: Die Linken hörten Schröder zu, Schröder hörte den Linken zu. „Das Gespräch war für beide Seiten hilfreich“, sagte Erler anschließend.

Schröder machte deutlich, dass der so genannte Perspektivantrag, den der Parteitag verabschieden wird und in dem die mittelfristigen Ziele sozialdemokratischer Politik festgeschrieben werden sollen, nichts mit seiner Agenda 2010 zu tun hat und diese auch nicht verwässern darf. Nun ist aber gerade dieses Zukunftspapier den Linken wichtig, weil sie darin ihre wichtigsten Forderungen wenigstens als Debattenthemen gerettet sehen. Sie haben gegenüber dem Kanzler deutlich gemacht, dass für sie beides – der Leitantrag für den Sonderparteitag in zwölf Tagen zur Agenda 2010 und der Perspektivantrag für den Programmparteitag im November – zusammengehört. Aber die Linken wissen auch, dass die Regierungsfähigkeit der SPD an der erfolgreichen Umsetzung der Agenda im Bundestag hängt.

Der Sonderparteitag ist offensichtlich sowohl für Schröder als auch die Regierungslinken nicht mehr das Problem. „Wir sind sehr optimistisch, dass es dort für die Agenda 2010 eine breite Mehrheit geben wird“, so Erler. Erst danach beginnt das, was der Fraktionsvize die „Schwierigkeit der Ebene“ nennt: die Umsetzung der sozialpolitischen Reformen in mehrere Gesetze und die Organisation einer eigenen rot-grünen Mehrheit. „Dafür müssen wir noch viel Überzeugungsarbeit leisten“, glaubt Erler. Der Verlauf des Sonderparteitags werde darauf großen Einfluss haben.

Schröder setzt dabei auch auf die Hilfe der parlamentarischen Linken, die vielleicht ein besseres Gespür als der Kanzler dafür haben, wie die Kritiker der Agenda zu einem Ja im Bundestag zu bewegen sind. „Wir kennen doch unsere Pappenheimer“, sagt Erler. Und: „Für unsere Einschätzung war der Kanzler dankbar.“

Besonders zwei Punkte sind für die bislang zwölf Agenda-Kritiker in der Bundestagsfraktion immer noch ein Hindernis für ihre Zustimmung: die Aufgabe der paritätischen Finanzierung der Krankenversicherung sowie die zeitliche Verkürzung des Arbeitslosengeldes für Leute über 55 Jahre auf 12 Monate. Zusätzliche Änderungen an seinem Programm lehnt Schröder jedoch ab. Entsprechende Initiativanträge der Agenda-Kritiker auf dem Parteitag werden kaum eine Mehrheit finden. Also hängt alles an der konkreten Ausformulierung der Gesetzestexte. Einig waren sich der Kanzler und die Linken dann wieder in einem entscheidenden Punkt: Kein Abgeordneter kann sich bei der Abstimmung über die Sozialreformen auf sein Gewissen berufen. „Hier geht es um technische Details“, so Erler. Es gilt also der Fraktionszwang. Das ist alles, was dem Kanzler am Ende bleibt.