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Archiv-Artikel

Unsaubere Hände

Christoph U. Schminck-Gustavus verfolgt die Spuren eines zu lange unbeachteten Verbrechens der Wehrmacht

Die Streitmacht Mussolinis erfreute sich bei den deutschen Verbündeten im Zweiten Weltkrieg keines besonders hohen Ansehens. Aber Hochmut und Verachtung der Wehrmacht schlugen in blanken Hass um, als 1943 die italienische Machtelite das einzig Richtige tat, indem sie Mussolini absetzte und die Fronten wechselte. Jetzt wurden die Waffenkameraden von gestern zu „Badoglio-Schweinen“. Sie durften in Deutschland als Zwangsarbeiter schuften (natürlich ohne spätere Entschädigung, es waren ja „Kriegsgefangene“), wenn ihnen nicht noch Entsetzlicheres bevorstand. Wie den Soldaten der auf der ionischen Insel Kephallonia stationierten Division „Acqui“. 4.000 von ihnen wurden zu Opfern eines Massenmords seitens der deutschen Besatzungstruppe, nachdem sie die Waffen gestreckt hatten.

Der Rechtshistoriker Christoph Schminck-Gustavus, seit langem mit den „sauberen Händen“ der Wehrmacht beschäftigt, hat dem Massaker von Kephalonia eine Untersuchung gewidmet, bei der nicht die Täter, sondern die Opfer im Mittelpunkt stehen. Die Rekonstruktion des Verbrechens geschieht nicht in erster Linie vermittels Aktenstudiums. Der Autor machte Überlebende des Massakers ausfindig – und Menschen, die sie retteten. Diese Gespräche gerinnen nicht zu dürren Ermittlungsergebnissen. Es gelingt Schminck-Gustavus, eine sehr dichte, lebendige, aber von Heiligenbildchenmalerei völlig freie Geschichte zu erzählen. Eine Geschichte, die den Verfasser samt seinen Emotionen nicht ausblendet.

„Kephallonia“ webt drei Handlungsfäden ineinander. Den der Mordtaten, den des Schicksals der Überlebenden, exemplarisch dargestellt an dem italienischen Offizier Amos Pampaloni, der nach seiner Rettung an der Seite der griechischen Partisanen kämpfte – und schließlich den des Partisanenkampfs selbst. Schminck-Gustavus sucht Tatorte auf, ermittelt Tatumstände, vergleicht Zeugenaussagen, alles Arbeiten, denen sich die deutsche Nachkriegsjustiz, als sie im Fall Kephallonia ermittelte, nie unterzogen hat. Vor allem aber gibt er den damaligen Opfern der deutschen Besatzungspolitik ein Gesicht. Das ist auch wörtlich zu nehmen. Der Band bietet eine Reihe von Fotografien, teils heutige Porträts der Protagonisten, teils Aufnahmen aus der Besatzungszeit.

Und die Täter? Die Umrisse des Verbrechens sind seit langem, eigentlich schon seit den Nürnberger Nachfolgeprozessen der Nachkriegszeit bekannt, als der verantwortliche General Lanz erst verurteilt und bald darauf begnadigt wurde. Später durfte er als Experte beim Aufbau der Bundeswehr mitwirken. Schminck-Gustavus rekonstruiert im letzten Teil seiner Arbeit die Geschichte der Ermittlungen gegen die weiteren Täter, die meist eine Geschichte von Verfahrenseinstellungen ist. Nur die Dortmunder Staatsanwaltschaft hat 1998 erneut Ermittlungen aufgenommen. Offen ist, ob es noch zu Anklagen kommen wird.

Jahrzehntelang konnten die Veteranen des Gebirgsjägerkorps, die die Massenerschießungen durchführten, sich auf ihrem jährlichen Pfingsttreffen gegenseitig beweihräuchern und ihrer untadeligen Tradition versichern – alles unter dem Schirm des bayerischen Staats. Seit 2003 hat dieses Lügengewebe Risse bekommen. Eine Gegenveranstaltung stört die Eintracht. Schminck-Gustavus referierte dort. Ein begrüßenswerter Fall von angewandter Wissenschaft.

CHRISTIAN SEMLER

Christoph U. Schminck-Gustavus: „Kephalonia 1943–2003. Auf den Spuren eines Kriegsverbrechens“. Donat Verlag, Bremen 2004, 240 S., 18,80 €