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Archiv-Artikel

Sicherheit wird immer privater

Schilys Kriminalitätsstatistik: Weniger Wohnungseinbrüche und Autoklau, mehr Graffiti-Sprayer und Schwarzfahrer. Den Anstieg von gemeldeten Vergewaltigungen um 9,2 Prozent erklären Experten mit „verstärkter Anzeigenbereitschaft“ der Opfer

aus Berlin ULRIKE WINKELMANN

Ob er dem Satz zustimmen würde, dass der private Raum immer sicherer, der öffentliche Raum immer unsicherer werde? Nun, antwortete Innenminister Otto Schily (SPD) gestern auf diese Frage eines Journalisten: „Die These hat etwas für sich.“ Schily selbst ließ sich bei der Vorstellung der „Polizeilichen Kriminalstatistik 2002“ allerdings nicht zu einer Zuspitzung hinreißen. Außer der einen: dass „Deutschland eines der sichersten Länder auf der Welt ist und bleibt“.

Tatsächlich setzen sich in der diesjährigen „PKS“ die Trends der vergangenen Jahre fort. Die Zahlen der Wohnungseinbrüche (minus 2,7 Prozent) und Autodiebstähle (minus 6,4 Prozent) gingen weiter zurück. Die so genannte Straßenkriminalität dagegen, die über ein Viertel aller erfassten Straftaten ausmacht, stieg um 6 Prozent an.

Dieser Anstieg umfasst allerdings vor allem die zusätzlich erwischten Graffiti-Sprayer und die wachsende Anzeigenfreudigkeit bei Sachbeschädigungen. Was die handfesteren Gründe für das Sicherheitsempfinden der Menschen im öffentlichen Raum angeht, so dürften andere Zahlen schwerer wiegen: Der Handtaschenraub etwa hat im Jahr 2002 nach jahrelangem Rückgang um 23 Prozent zugenommen.

Richtige „Sorgen“ bereitet Schily, dass die Gewaltkriminalität im Vergleich zum Vorjahr um 4 Prozent gestiegen ist. Schwere Körperverletzungen nahmen um 5,5 Prozent zu. Den Anstieg der Vergewaltigungen und schweren sexuellen Nötigungen um 9,2 Prozent brachte Schily unter anderem „mit einer verstärkten Bereitschaft zur Anzeige“ dank der neuen Gesetzgebung gegen häusliche Gewalt in Verbindung.

Auch der Anstieg um 2,3 Prozent auf 6.507.394 insgesamt registrierte Straftaten ist laut Schily vor allem ein „statistischer Effekt“: Nicht die Delikte selbst nehmen zu, sondern ihre Erfassung wird verstärkt. Dies dürfte zum Beispiel für die „Leistungserschleichung“ gelten, die im vergangenen Jahr vehement geahndet wurde. Das Schwarzfahren stellt sich hierbei als Hobby nichtdeutscher Jugendlicher heraus: Unter ihnen wurden 41,5 Prozent mehr Schwarzfahrer gezählt. Insgesamt, sagte Schily, sei der Anteil Nichtdeutscher an allen Tatverdächtigen jedoch weiter rückläufig.

Der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer mahnte gestern gegenüber der taz zur Vorsicht im Umgang mit sämtlichen Statistiken: Rückläufige Zahlen bei nichtdeutschen jungen Männern dürften nicht darüber hinwegtäuschen, „dass im Westen der Republik die Integration von Zuwanderern misslungen ist“. Diese hätten jetzt „zum Teil einen deutschen Pass, deshalb erkennt man sie nicht mehr“. Das ändere nichts am kriminalitätsfördernden „Import von Macho-Kulturen“.

Umumstritten sei jedoch auch unter Experten, dass die Gewaltkriminalität zurückgehe, sagte Pfeiffer. Was den gemessenen Anstieg von Sexualdelikten angeht, so bestätigte der Hannoveraner Wissenschaftler Schilys Andeutung: „Das ist die Folge davon, dass die Opfer nicht mehr stillschweigend alles wegstecken.“ Dies sei ein begrüßenswerter Trend seit 1998, der durch das Gewaltschutzgesetz vom 1. 1. 2002 bestärkt werde. „Mit den schlecht aussehenden Zahlen müssen wir deshalb leben.“