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Archiv-Artikel

Nebenfach Liebe

Flirten an der Uni: Wenn überhaupt, dann im Sommer und am Brunnen. Oder in der Staatsbibliothek. Eine keineswegs repräsentative Umfrage unter Studierenden über Flirt-Chancen auf dem Campus

von Sandra Wilsdorf

„Also wer hier keinen findet, der bleibt immer allein“, sagt eine BWL-Studentin, die allerdings selber noch nie eine Beziehung mit einem Kommilitonen einging, weil sie „immer gerade vergeben“ war. Ist Liebe automatisch Nebenfach für alle Studierenden? Schwingen und kreuzen sich in Mensen, Bibliotheken und Hörsälen erotische Wellen zum Kurzschluss? Ist das Paarungsverhalten studierender Großstädter so wild und willenlos, wie die heute ergrauten 68er uns aus ihren Studientagen berichten? Eher weniger.

Eine keineswegs repräsentative Befragung auf dem Campus ergibt eher Nüchternes: „Wenn überhaupt in der Uni flirten, dann höchstens im Sommer am Brunnen“, sagt beispielsweise Julia. Zwei Kommilitoninnen der Erziehungswissenschaften finden die Hochschule gänzlich unromantisch: „Das ist doch total anonym hier, hier sieht doch jeder nur zu, dass er seine Scheine schnell schafft.“ Und manchem ist es sogar nicht cool genug: „Ich würde nie mit jemandem von der Uni was anfangen“, sagt ein BWLer und ergänzt: „Ich bin zu freiheitsliebend.“

Anbandeln in der Stabi oder der Rechts-Vorlesung

Doch ein Ort kommt immer wieder vor, wenn es ums Sondieren und Knüpfen erster Bande geht. Die Staats- und Universitätsbibliothek, kurz Stabi. Ein angehender Betriebswirtschaftler hat da Flirt-Erfahrungen gemacht: „Ich habe sie ein paar Tage lang beobachtet und sie mich, und dann hat sie mich irgendwann gefragt, ob wir einen Kaffee trinken wollen.“ Mehr ist nicht daraus geworden, er hat schon eine Beziehung. Das kleine Café im Erdgeschoss der Stabi ist trotzdem ein Hotspot.

Einem angehenden Juristen sind derartige Annäherungen allerdings viel zu langwierig. „Einmal bin ich mit einer Frau direkt von der Vorlesung zu mir nach Hause gegangen.“ Das war nicht schwer, Verwaltungsrecht sei so langweilig gewesen, „dass man da schnell auf andere Themen gekommen ist“. Die Stabi hält er für einen Ort der schönen Phantasie, „wenn überhaupt, dann passiert etwas in den Cafés auf dem Campus“. Er empfiehlt dabei besonders das Café im Fachbereich Erziehungswissenschaften und in der Bibliothek.

Geschichten wie diese machen all denen Probleme, die wirklich glauben, das Studentenleben habe ein Dauerflirt zu sein, und darunter leiden, dass das bei ihnen nicht so ist. Und doch ist der einsame Studierende nicht allein. Peter Figge, Leiter des Zentrums für Studienberatung und Psychologische Beratung an der Uni, bestätigt: „Bei uns melden sich viele wegen Störungen der sozialen Beziehungsfähigkeit.“

Der Psychologe und Psychotherapeut unterscheidet dabei unter anderem drei Typen: Den Schüchternen, der tatsächlich Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme hat; den Flüchtigen, der auf den ersten Blick zwar sehr viele, aber doch sehr oberflächliche und stark segmentierte Kontakte hat sowie den Kontaktgestörten, der nicht unbedingt allein in seinem Zimmer sitzen muss, sondern durchaus in Beziehungen leben kann, darin aber keine Freiheit duldet.

In ihren Beziehungsproblemen, so Figge, unterscheiden sich Studierende nicht wesentlich von der restlichen Bevölkerung. Was die Lage für sie eher schwieriger macht: „Studenten leben in weniger festen Strukturen.“ Viele, die für das Studium nach Hamburg kommen, fallen zunächst aus ihren gewohnten Beziehungen heraus und müssen hier neue aufbauen.

Und Hochschüler leben mit der gesellschaftlichen Erwartung, dass Einsamkeit unter Studierenden nicht vorzukommen hat. Wie kann auch jemand einsam sein, der den ganzen Tag unter seinesgleichen ist und jeden Abend Party feiert? „Das ist ebenso ein Missverständnis wie die Erwartung, dass Studierende jede Menge Freizeit und Freiheit haben. Dabei müssen sehr viele von ihnen arbeiten und empfinden gerade die Freiheit als Hypothek“, sagt Figge. Und dabei nicht auf Verständnis hoffen zu können, macht die Sache eher schwieriger.

Es ist Frühling, auch auf dem Campus. Im Gehen liest ein Student einem Freund die gerade empfangene SMS vor. „Ich wollte Dir zumindest noch sagen, dass ich die Zeit mit dir sehr schön fand ...“