Struck ohne Grenzen

Verteidigungsminister stellt neue verteidigungspolitische Richtlinien vor. Bundeswehr soll verstärkt im Ausland eingesetzt werden. Wehrpflicht soll bleiben. Grüne: „Dissens auf dem Tisch“

BERLIN taz/dpa ■ Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) hat gestern die neuen verteidigungspolitischen Richtlinien bekannt gegeben – und einen neuen Streit in der rot-grünen Koalition ausgelöst. „Jetzt liegt der Dissens klar auf dem Tisch“, sagte Grünen-Chefin Angelika Beer der taz. Ihre Partei werde weiter für die Abschaffung der Wehrpflicht streiten. Struck versuche „die Quadratur des Kreises“, wenn er die geplante Modernisierung der Bundeswehr ohne Abschaffung der Wehrpflicht betreiben wolle.

Struck nannte die Beibehaltung der Wehrpflicht „unabdingbar“. Von der SPD-Fraktion erwartet er „noch vor der Sommerpause“ eine entsprechende Festlegung. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, unterstützte Struck und drohte: „Im Zweifelsfall muss sich der größere und stärkere Koalitionspartner durchsetzen.“

Einig sind sich Struck, SPD und Grüne allerdings bei der grundsätzlichen Neuausrichtung der Bundeswehr: Aufgrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage in Europa und der Welt soll sich die Bundeswehr künftig auf Auslandseinsätze konzentrieren. An erster Stelle des Aufgabenspektrums stünden internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung sowie der Kampf gegen den internationalen Terror, sagte Struck. Verteidigung lasse sich geografisch nicht mehr eingrenzen, sondern trage „zur Wahrung unserer Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist“.

Für erheblichen Unmut in den betroffenen Regionen sorgte die Ankündigung des Verteidigungsministers, neun Bundeswehrstandorte müssten im Zuge der Umstrukturierungen geschlossen werden. Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) sagte, sie sei „entsetzt“ über die Informationspolitik ihres Parteifreundes.

Unter Punkt 53 der Richtlinien findet sich weiterer Konfliktstoff für die rot-grüne Koalition. Dort heißt es: „Die Verpflichtung Deutschlands zur schnellen militärischen Reaktionsfähigkeit im Rahmen von Nato und EU macht eine ebenso schnelle politische Entscheidungsfähigkeit auf nationaler Ebene unabdingbar.“ Gemeint ist ein so genanntes Entsendegesetz, das sich Struck noch in diesem Jahr wünscht, um der Regierung bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr mehr Spielraum zu geben.

Geht es nach Struck, soll die Regierung Vorauskommandos ohne Parlamentsbeschluss losschicken können und ein Bundestagsmandat unbefristet sein. Union und FDP plädieren seit langem für ein solches Gesetz, die SPD hielt sich bislang mit diesem Anliegen aus Rücksicht auf die Grünen zurück. Die Grünen fürchten, dass eine Regierung mit einem solchen Gesetz zu eigenmächtig werden könnte.

LUKAS WALLRAFF

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